Von den diesjährigen 42 Beiträgen werden nur 3 Lieder in Landessprache gesungen. Die meisten Songs folgen einem anglo-amerikanischen Ideal, wie man es seit den 80ern rauf und runter in Millionen Formatradios hören kann. Bedauerlicherweise werden auch die InterpretInnen nach Einheitsschema vermarktet. Es gibt nicht mal mehr Wettkämpfer, die sich mit Sprüchen, Werbeaktionen o. ä. hervortun.
Ob es mit Einfallslosigkeit, Einschüchterung oder einem überholten Verständnis von Modernität zu tun hat oder ob die USA selbst im Musikbusiness anderen Ländern mit Krampf und Gewalt ihre veralteten Vorstellungen aufzudrücken versucht, sei dahin gestellt. Fakt ist, dass es langweilig ist.
Um eine einigermaßen unterhaltsame Show auf die Beine zu stellen, käme man dieses Jahr mit 13 Liedern aus.
Armenien: Die gute Nachricht ist, dass Armenien mal nicht den Genozid besingt, sondern mit Sängerin Artsvik und dem Song“Fly With Me“ nettes Folktronica präsentiert. Die schlechte Nachricht: Dem Land wurde beim Timing eine Extrawurst gebraten, damit sie den perfekten Song abliefern. Vielleicht wirkt der Clip deswegen etwas nach verkrampften Marionettentheater. Aber könnte trotzdem passen, denn es steht zu befürchten, dass die Militärs nach der Ukraine das nächste finanzschwache Anrainerland Russlands mit Eurovisionstralala in die Knie zwingen und als Aggressionskorridor gegen Russland aufstacheln. Und gegen Aserbaidschan gleich mit… (von mir 6 Punkte)
Aserbaidschan: Sängerin Dihaj dürfte dieses Jahr die Extravaganteste sein. Sie präsentiert mit ihrem Song „Skeletons“ Electronica, aber mit „secret message“ und neuer Erzählhaltung. Vonwegen ich bin ein Gutmensch und will ja nur den Frieden… (10 Punkte)
Weissrussland: Es ist das erste Mal, dass wir beim ESC die weissrussische Sprache zu hören bekommen, verpackt in Folk-Pop. Ein unbeschwerter fröhlicher Beitrag von Naviband, der zum Schluss mit vielen Hey-Hey-Rufen leider etwas ereignisarm wird, was aber hoffentlich durch die Sängerin, die eine Rampensau zu sein scheint, aufgefangen wird. (1 Punkt)
Belgien: Auch Belgien kommt mit Elektronic-Pop von der blutjungen Sängerin Blanche, die ihr „City Lights“ streckenweise mit für Teenies ungewöhnlich tiefer Altstimme singt. Für mich eigentlich ein angenehmer Kontrast zum plärrenden Pädophilen-Pop, leider ging ihr Gesang bei Live-Auftritten bisher kläglich unter. Ich bin allerdings überzeugt, dass die Techniker in Kiew diesen Beitrag trotzdem als erwachsen und cool vor uns erstehen lassen. (5 Punkte)
Kroatien: Ungewollt komisch. Konzentriert man sich nur aufs Akustische, glaubt man ein Lied von Otto Waalkes oder Loriot zu hören. Der unbestritten gute Sänger Jacque wechselt in jeder Zeile zwischen Tenorstimme in italienischer Sprache und natürlicher Stimme in englischer Sprache und wirkt damit wie ein Bauchredner. Fehlt beim Auftritt nur die noch Handpuppe.
Finnland: Unaufdringliche Entspannungsmusik des New Age mit Titel „Blackbird“ von Norma John, die man in Dauerschleife hören kann, vor allem zu Weihnachten. (2 Punkte)
Ungarn: Auch Ungarn singt endlich mal in ungarischer Sprache und stellt ungarische Musik vor. Das Lied ist ein Crossover zwischen ungarischer Zigeunermusik und Hiphop. So stelle ich mir einen Eurovisionsbeitrag vor. (3 Punkte)
Moldawien: Sympathischer Elektro-Balkan-Freak-Folk, wie man es seit ihrem Debüt mit der Band Zdob si Zdub von den Moldawiern erwartet. (8 Punkte)
Niederlande: Eine altbackene Ballade, die den Hörer aber mit perfekter Dreistimmigkeit in den Bann ziehen wird. Sollten die Geschwister ihre Ballade live auch so perfekt performen wie im Studio, ist das was Besonderes. (4 Punkte)
Portugal: Der Performer Salvadore Sobral weicht mit seiner kindlichen Selbstvergessenheit, einem verträumten Jazz-Walzer „Amar Pelos Dois“ und ergreifendem Text angenehm von der hohlen Formatradiomusik ab. Die gelangweilte Melodie, die portugiesische Sprache und die leisen Töne des Sängers erinnern mich sogar etwas an Bossa Nova. (7 Punkte)
Rumänien: Hiphop mit Jodeldiplom. Ein Schenkelklopfer, der nicht nur mutig aus dem Rahmen fällt, sondern auch lustig klingt. Dem ESC würden ein paar mehr solcher schräger Beiträge gut tun.
Ukraine: Rockmusik, für sich gesehen nichts Besonderes, aber beim ESC mit 30 gleichförmigen Formatradioliedern erfrischend ehrlich. Die abgerissenen Musiker präsentieren sich auf einem Trümmerfeld und erbitten sich etwas Zeit zur Erholung und Selbstfindung. Den Wunsch kann ich verstehen. Ich hoffe nur, dass sie die Performance einigermaßen gastfreundlich gestalten, ohne Schüsse und ohne Blutopfer, wie bei der Vorentscheidung.
Italien: Das einzige Big-5-Land in meiner Auswahl! Beim italienischen Beitrag wurde zwar das Rad nicht neu erfunden, aber es wirkt nach all dem politischen Missbrauch, dem Betroffenheitsgesülze und der englischen Kaugummi-Sprache wie ein erholsamer Italien-Urlaub. Mit einer leckeren Tasse Café oder einem Glas Wein, einer Portion Humor und Selbstironie endlich Abstand vom europäischen Alltag gewinnen und sich den schönen Dingen des Lebens widmen:
Der leichten Muse und Philosophie und einem hinreißend charmanten Gigolo mit Namen Francesco Gabbani. 12 Punkte!
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Sonntag, 23. April 2017
Dienstag, 5. November 2013
Ein Mann lässt sich einen Bart wachsen
... und trägt dazu Frauenkleider. Mit dieser Sensation möchte Conchita Wurst alias Tom Neuwirth beim nächsten Eurovision Song Contest 2014 für Österreich punkten. Viele ESC-Fans – die Fanclubs bestehen in Westeuropa zu 80% aus Homosexuellen – zeigen sich irritert. Wer nach zahlreichen Christopher Street Days, nach Westerwelle und Wowereit und gefühlten 3000 Tunten beim ESC diese Masche noch als Provokation für nötig hält, hat die Emanzipation
der letzten 30 Jahre nicht mit vollzogen.
Wahrscheinlich musste sich Conchita deswegen noch zusätzlich etwas Besonderes einfallen lassen. Sie hat sich vor den Karren einer Polit-Kampagne spannen lassen, bei der nicht klar ist, ob es um die Emanzipation oder um Ausbeutung von Eitelkeit und Ängsten der Homosexuellen geht.
Zur Kampagne: Angeblich gibt es eine weissrussische Gruppe, die bei der weissrussischen Regierung eine Petition vorzulegen beabsichtigt, mit der ein Verbot der TV-Ausstrahlung von Conchitas Auftritt beim ESC bewirkt werden soll. Aus moralischen, religiösen und pädagogischen Gründen, versteht sich. Das Ganze wurde auf Facebook und offenen PR-Portalen verbreitet. Lange Zeit war nicht klar, wer sich hinter diesen weissrussischen Moralaposteln verbirgt, denn nicht die Initiatoren der Kampagne, sondern nur die vermeintlich angegriffenen Schwulen wussten darüber zu berichten. Sie nahmen und nehmen diesen Vorgang zum Anlass, um Lukaschenkos Negativurteil schon mal vorweg zu nehmen und einen Ausschluss von Weissrussland und Russland beim ESC zu fordern.
Vielleicht weil sich die Weissrussen partout nicht für die Sache interessieren und auch, um die Scharfmacherei etwas anzufeuern, hatte am 31.10.2013 eine Person namens Artsyom Kirashou auf Radio Free Europe – Radio Liberty sein Coming Out als Initiator dieser Kampagne.
Hartnäckigkeit und Großmäuligkeit der offensiven User, die angeblich aus der Defensive heraus als diskriminierte Schwule handeln, wie auch die Veröffentlichung auf dem amerikanischen Propagandasender Free Europe erwecken in mir den Eindruck, dass dahinter Agenten stehen, die unter Vortäuschung von Schwulenbelangen den ESC mal wieder als Täuschungsmanöver missbrauchen. Im Ergebnis helfen sie nicht den Interessen der Homosexuellen, sondern schaffen künstliche Anlässe um ein Freund-Feind-Schema zu schüren und Osteuropa- und Islamhass unter die Leute zu bringen.
Insgesamt wird damit eine sehr triviale Vorstellung von Menschenrecht und Selbstbestimmung verbreitet. Als würden sich diese Werte, die im Abendland in Jahrhunderten erkämpft wurden, heutzutage per Knopfdruck auf der TV-Fernbedienung weltweit umsetzen lassen. Und wenn das nicht – zack, zack – funktioniert, soll es legitim sein, ganze Nationen zu erniedrigen, auszugrenzen oder anzugreifen – am besten noch mit Hilfe des Militärs?
Solche dubiosen Kampagnen setzen den Frieden aufs Spiel und sind eine Verkehrung des Menschenrechts.
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Wahrscheinlich musste sich Conchita deswegen noch zusätzlich etwas Besonderes einfallen lassen. Sie hat sich vor den Karren einer Polit-Kampagne spannen lassen, bei der nicht klar ist, ob es um die Emanzipation oder um Ausbeutung von Eitelkeit und Ängsten der Homosexuellen geht.
Zur Kampagne: Angeblich gibt es eine weissrussische Gruppe, die bei der weissrussischen Regierung eine Petition vorzulegen beabsichtigt, mit der ein Verbot der TV-Ausstrahlung von Conchitas Auftritt beim ESC bewirkt werden soll. Aus moralischen, religiösen und pädagogischen Gründen, versteht sich. Das Ganze wurde auf Facebook und offenen PR-Portalen verbreitet. Lange Zeit war nicht klar, wer sich hinter diesen weissrussischen Moralaposteln verbirgt, denn nicht die Initiatoren der Kampagne, sondern nur die vermeintlich angegriffenen Schwulen wussten darüber zu berichten. Sie nahmen und nehmen diesen Vorgang zum Anlass, um Lukaschenkos Negativurteil schon mal vorweg zu nehmen und einen Ausschluss von Weissrussland und Russland beim ESC zu fordern.
Vielleicht weil sich die Weissrussen partout nicht für die Sache interessieren und auch, um die Scharfmacherei etwas anzufeuern, hatte am 31.10.2013 eine Person namens Artsyom Kirashou auf Radio Free Europe – Radio Liberty sein Coming Out als Initiator dieser Kampagne.
Hartnäckigkeit und Großmäuligkeit der offensiven User, die angeblich aus der Defensive heraus als diskriminierte Schwule handeln, wie auch die Veröffentlichung auf dem amerikanischen Propagandasender Free Europe erwecken in mir den Eindruck, dass dahinter Agenten stehen, die unter Vortäuschung von Schwulenbelangen den ESC mal wieder als Täuschungsmanöver missbrauchen. Im Ergebnis helfen sie nicht den Interessen der Homosexuellen, sondern schaffen künstliche Anlässe um ein Freund-Feind-Schema zu schüren und Osteuropa- und Islamhass unter die Leute zu bringen.
Insgesamt wird damit eine sehr triviale Vorstellung von Menschenrecht und Selbstbestimmung verbreitet. Als würden sich diese Werte, die im Abendland in Jahrhunderten erkämpft wurden, heutzutage per Knopfdruck auf der TV-Fernbedienung weltweit umsetzen lassen. Und wenn das nicht – zack, zack – funktioniert, soll es legitim sein, ganze Nationen zu erniedrigen, auszugrenzen oder anzugreifen – am besten noch mit Hilfe des Militärs?
Solche dubiosen Kampagnen setzen den Frieden aufs Spiel und sind eine Verkehrung des Menschenrechts.
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Samstag, 16. April 2011
Anastasia Vinnikova - I Love Belarus

Da Weissrussland in Europa als die letzte diktatorische Bastion des Kalten Krieges gilt, wundert es nicht, wenn dieser Titel für konservative ESC-Fans zum roten Tuch, zur Provokation schlechthin wird. Aber Hand auf's Herz: Verbirgt sich hinter dieser radikalen Ablehnung nicht auch ein wenig Verärgerung, weil sich die jungen Weissrussen ausgerechnet beim Song Contest im reichen Deuschland stolz und selbstbewusst präsentieren? Ich finde diese kleine Irritation eher amüsant, spannend, sogar faszinierend.
Chaos statt Musik?
In Weissrussland gab es für den ESC 2011 eine internationale Ausschreibung, woraufhin 29 Beiträge aus 8 verschiedenen Ländern eingingen. Die erste Wahl fiel auf die in Deutschland lebende Weissrussin Katya Langer, da aber ihr Lied "Running Man" bereits 5 Jahre alt war (die Beiträge dürfen nicht vor dem September des Vorjahres veröffentlicht worden sein), wurde sie disqualifiziert. Die nächste Wahl fiel auf Anastasia Vinnikova und das Lied "Born in Byelorussia", dies allerdings zum Erstaunen des Komponisten Evgeny Oleynik: "I'm a bit surprised of course that the jury has preferred this very track. [...] We were writing [this song] not for the contest, but now, we are reworking and correcting the lyrics."
Einige Tage später - 1 1/2 Wochen vor der Deadline - fiel auch dieser Beitrag der Disqualifizierung zum Opfer. Ein paar pfiffige russische Journalisten hatten herausgefunden, dass Anastasia dieses Lied bereits während einer Uni-Veranstaltung in Minsk performt hatte. Zunächst sah es so aus, als würde der Contest 2011 ohne Weissrussland stattfinden. Aber Anastasias Team hatte Blut geleckt. Innerhalb kürzester Zeit entstand ein neues Lied, der Clip zum Lied wurde gleich mitgeliefert. Statt kleinlaut zu werden, hatte man noch eins drauf gesetzt, denn der neue Beitrag hieß nun "I Love Belarus".
Für die 20-jährige Anastasia wird der ESC ihr erster großer TV-Auftritt und ihr erster großer Wettbewerb. Mutig und ambitioniert möchte sie zumindest das Finale erreichen und wünscht sich, dass ihr Lied ein kleiner europäischer Hit wird, vor allem in den ESC-Discos. Letzteres könnte ihr aus musikalischen Gründen sogar gelingen, denn in diesem von schleppender Spartenmusik dominierten ESC-Jahrgang gehört ihr Lied zu den wenigen, bei dem nicht nach bereits 20 sec die Füße einschlafen. Das einzige, was dem Europa-Hit im Wege steht, ist der Titel. Welcher (schwule) westeuropäische ESC-Fan möchte laut und fröhlich seine Liebe zu Weissrussland feiern?
Schöpferische Antwort auf ungerechtfertigte Kritik?
Ich habe mit dem Lied kein Problem. Zum einen kann man darauf verweisen, dass Politik beim ESC nichts verloren hat und den Text als reine Heimatschwärmerei verstehen. Darüberhinaus bin ich im Kalten Krieg aufgewachsen, die schulische Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Stalin und Schostakowitsch lehrte mich damals, die Musik aus Osteuropa nicht eindimensional zu verstehen. Ich erinnere mich sogar an ein Zitat von Schostakowitsch, in dem er seinen Mut für seine Kompositionen während der Stalin-Ära begründete: "Keine Sorge, sie werden es nicht ohne mich schaffen."
Vielleicht liegt der Grund von so viel Selbstvertrauen und Stolz des weissrussischen Teams in dem Wissen begründet, dass sie gebraucht werden. Damit würden sie einen interessanten Gegenpol zum portugiesischen Beitrag darstellen, der in Bezug zu Protesten der im Neoliberalismus überflüssig gewordenen "verlorenen" jungen Generation entstand.
In einem Interview nach dem Sinn des Liedes befragt, antwortet Anastasia, dass sie "ihr" Weissrussland, in dem sie geboren und aufgewachsen ist, durchaus liebt.
Damit ist nicht gesagt, dass "ihr" Weissrussland mit dem vorherrschenden Bild 100% identisch ist. Ihr Text lässt neben Heimatschwärmerei - wenn man denn möchte - sogar sehr gewagte Interpretationen zu:
"So here I go and I'm ready to rise up
Just like a star guiding me through the night
I've got no fear and I will never give up
love is all we need and it's our light."
Anastasia Vinnikova wird am 12.05.2011 im 2. Semifinale als Startnummer 16 um den Finaleinzug kämpfen.
Quelle: ESCKaz.com
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