Donnerstag, 26. März 2009

Stellt sich die ARD als zu nett dar?

„Es gibt verschiedene Untersuchungen, die festgestellt haben, dass der überwiegende Teil der Zuschauer die Tagesshows [Tagesschau und Tagesthemen] gar nicht versteht. Das leuchtet auf Anhieb ein, denn tatsächlich gibt es bei den Fernsehnachrichten wenig zu verstehen. Sie beherrschen vor allem die Kunst, binnen 15 Minuten die Welt mit feiner Unbegreiflichkeit zu verhüllen.“ (Walter von Rossum)

Dies fiel mir spontan ein, als am 22.03.09 ein ca. 3-minütiger Bericht über den diesjährigen israelischen Song-Contest-Beitrag in den Tagesthemen an mir vorbeirauschte. Worum ging es? Israel schickt ein jüdisch-arabisches Duo zum Contest, das eine Friedensbotschaft verkünden soll. Provokation? Kooperationen dieser Art sind spätestens seit Gründung des West-Eastern Divan Orchestra 1999 beliebt. Israels Teilnahme am ESC ist auch nicht neu. Auch nicht, dass Länder gerne gewinnen wollen und dafür kräftig die Werbetrommel rühren. Fragwürdig schon eher, dass Israel dann ausgerechnet aus seiner Kriegssituation bei dem sonst so verlachten Eurovision Song Contest Kapital schlagen möchte. Und in dem Zusammenhang irritiert es mich, dass die ARD für diese Art PR seine Tagesthemen als Werbeplattform zur Verfügung stellt.

Angeblich singen die beiden Interpretinnen „ihr Lied aus Protest gegen die gegenwärtige Lage in Nahost“. Ist 'Protest' das richtige Wort, wenn das Lied von 'oben' angeordnet wurde? Böte sich da nicht eher das Wort Propaganda an? Und ist es überhaupt klug von Israel, ihre Beweggründe an die große Glocke zu hängen, statt einfach nur zu singen?

Dass man in diesem Zusammenhang aus israelischer oder aus deutscher Sicht auch die palästinensische Meinung befragt, mag ich gar nicht erwarten. Aber die Meinung des normalen israelischen Zuschauers hätte man anbieten können. Von israelischen Fans weiß ich, dass sie es "satt geworden sind, dass Israel immer wieder „Friedenslieder“ zum ESC schickt. Gerade weil sie in einer besonders schwierigen Situation leben, möchten sie beim Song Contest mal nichts davon hören.“ Und weiter: „Die Nominierung von Noa und Mira hat nur am Anfang Ärger ausgelöst und zu Protesten geführt, mittlerweile scheint es niemanden mehr zu interessieren. Richtig angefeindet wurden die Sängerinnen auch nicht. Mira hat einen Petitionsbrief von arabischen Intellektuellen bekommen, Noa erhielt lediglich ein paar feindliche Mails. Das Ganze wurde von den Medien eher aufgebauscht!“ Aha, in Israel ist dies momentan also kein Thema.

Nachgeschaut auf der Homepage der Tagesschau haut mich die wenig journalistisch-objektive Berichterstattung um: Von "'sinnvoller Verwirrung' ist die Rede, und diese passe 'zur universalen Freude, schöner Götterfunken'-Botschaft des europäischen Schlagerwettbewerbs.“ Ging es den Sängerinnen nicht um die gegenwärtige Lage in Nahost? Und mag man in Deutschland den ESC meinetwegen mit Friedrich Schiller und Ludwig van Beethoven in die Höhen des meinungsführenden Bildungsbürgers heben, aber passt das dann noch zum Miss Kiss Kiss Bang?

Vielleicht hilft Rossum weiter: „Nur Sprachregelungen sind die eigentliche Botschaft der Fernsehnachrichten: Die als Information getarnte Mitteilung, was man wie zu sehen hat.“

Eine besonders zynische Sprachregelung kommt dann auch prompt aus dem Mund des arabischen Teils des Duos: „Ich habe es satt, immer gegen etwas zu sein. Ich will nicht mehr 'gegen' sagen. Ich will für etwas sein."

Genau, ich bin auch für etwas. Und zwar dafür, dass wir für die gesinnungsperspektivische Präsentation eines solchen Berichtes in den Tagesthemen von der israelischen Jury Punkte bekommen für Miss Kiss Kiss BANG.

(Walter von Rossum, Die Tagesshow. Wie man in 15 Minuten die Welt unbegreiflich macht, Verlag Kiepenheuer & Witsch Köln, 2007, S. 32, S. 117)

Samstag, 14. März 2009

Miss Kiss Bums

Alex Swings Oscar Sings vertreten Deutschland dieses Jahr mit dem Swing-Titel „Miss Kiss Kiss Bang“ beim Eurovision Song Contest in Moskau. Lt. NDR-Homepage ist Alex C. zur Teilnahme vom NDR gebeten und schließlich nominiert worden.

Damit hatte in Fankreisen so gut wie niemand gerechnet. Alex C. kam wie aus dem Nichts, und verkauft sich und seinen abgekupferten Act jetzt dementsprechend wie den alten amerikanischen Traum eines Tellerwäschers. Seine alte Swing-Nummer wird in einem Musikvideo dementsprechend im 50er Jahre-Stil beworben.

Einmal mehr hat er diesen einsamen Tellerwäscher-Aufstieg kürzlich bei der NDR-Talkshow demonstriert. Er schaut ins Leere, spricht am liebsten von sich, neben ihn ein schweigsamer Oscar, der wohl noch immer nicht begriffen hat, wie ihm eigentlich geschieht… Zuschauer, Fans oder gar Musikerkollegen scheint es nie gegeben zu haben, sie sind nicht von Interesse. Und wenn, dann eher als potentielle Neider, denen man es zeigen will.

Alex C. beschreibt sich als ein ehemals schwächliches Kind, das sich regelmäßig das Pausenbrot („die Butter vom Brot“) wegnehmen ließ. Jetzt wurde er selbstverständlich endlich ins Rampenlicht gestellt. Dass Alex C. sich in seiner isolierten Lage so sicher fühlt, mag der vom NDR geforderten Wiedereinführung der Jury zu verdanken sein. Immerhin hat der NDR nach all den "schlappen Selbstdarstellungen deutscher Teilnehmer" (Zitat Alex C.) dieses Jahr seinen Ruf wieder herzustellen. Mit Alex Swings Oscar Sings.

Musik ist Geschmacksache. Auch den Musiker will ich nicht angreifen, sondern ein Konzept, das ihm dieses

bornierte und arrogante Profil

nahe legt. Resistent gegen alle Verbesserungsvorschläge hat der NDR autonom entschieden. Er hat sich den zahlenden Zuschauern entzogen und sie damit entwertet. Die Fans wurden als Zielgruppe zurück aufs Abstellgleis geschoben, die junge deutsche Musikszene quasi ignoriert.

Zur Rede gestellt, gibt man sich unbedeutend, langweilig und wehleidig und nimmt sich andererseits das Recht heraus, auf ganzer Linie alle Spielregeln zu brechen. Empfindsamkeit im Umgang mit Zuschauern und Spielregeln kann man dem NDR also nicht nachsagen. Leidenschaft und Mut noch weniger.

Geht’s noch!?

1. Zuschauer brauchen ein Mindestmaß an Identifikation. Dass der Echo-Auftritt wie auch der Auftritt beim NDR niemanden zur Leidenschaft hingerissen hat, hängt auch mit dem arroganten Top-down-Konzept zusammen. Dem hat sich Alex C. voll angepasst. Damit ist aber sein ausgeklügeltes amerikanisches Tellerwäscher-Konzept, dass ja Bottom-up funktioniert, pervertiert und unmissverständlich misslungen. In Deutschland bleibt der Tellerwäscher eben ein Tellerwäscher.

2. Ginge es beim Bruch der Spielregeln nur um ein Mogeln, könnte man Siegeswillen unterstellen. Dass der NDR sich in den letzten Jahren um einen Sieg bemüht hätte, wird aber keiner ernsthaft behaupten. Auch das ist Betrug. Man bringt damit die Zuschauer und seine Gegner um den Spannungsgenuss und um die Freude am Sieg.

3. Um mit seinen faden Beiträgen überhaupt mitmachen zu dürfen, kauft man sich als sog. Big-4 ins Finale und fordert voller Ressentiments gegenüber erfolgreichen Newcomern die Wiedereinführung der Jury. Das zeugt nicht nur von Missachtung des Zuschauers und Gegners, sondern des gesamten Wettberwerbs.

Das Beste am Norden: Der NDR spricht zwei Monate vor Moskau bereits von Konzepten fürs nächste Jahr.