Samstag, 25. Dezember 2010

Aserbaidschan – Ausrasten bei der Vorentscheidung

Ausgerastet sind diesmal nicht das verärgerte Publikum oder die Organisatoren, sondern die Musiker. Und nicht vor oder hinter der Bühne, sondern auf der Bühne. So wie es muss! Kultstatus hat jetzt schon Altun Zeynalov erreicht mit seiner Interpretation des ungarischen Beitrags 2007 „Unsubstantial Blues“:



Was ist los in Aserbaidschan?

Aserbaidschan nimmt erst seit 2008 am ESC teil, und dies mit Erfolg. Ihre Beiträge müssen sich aber stets den Vorwurf der teuer erkauften ästhetischen Überfrachtung gefallen lassen. Für den ESC 2011 haben sich die Aserbaidschaner zum ersten Mal einen Vorentscheidungsmarathon vorgenommen. In sieben Wochen werden jeweils 11 Kandidaten vorgestellt, die eine Woche lang jeden Abend ein Lied präsentieren. Vorgaben sind Montag ein Evergreen, Dienstag ein aserbaidschanisches Lied, Mittwoch ein ESC-Klassiker, Donnerstag ein Lied nach Wahl und Freitag wird gevotet.


Der Wettbewerb hat sich vorverlagert
Die jahrelange Erfahrung lehrt, dass die Auswahl an ESC-Beiträgen im Finale nicht notwendigerweise die Musikszene des jeweiligen Landes repräsentieren, sondern eher Geschmack und Strategie der staatsnahen TV-Anstalten. Wer sich für die Musikszene der europäischen Länder interessiert, wird in den nationalen Vorentscheidungen fündiger. Dieses Jahr also auch in Aserbaidschan.

Und was da zum Vorschein kommt, lässt mich geradezu aufatmen, nämlich ganz normale musikalische Bedürfnisse. So etwas wäre im deutschen TV undenkbar.


Vor allem Altuns Pflicht-Darbietung eines aserbaidschanischen Liedes hat mir sehr gefallen. Ich gebe zu, dass ich lachen musste. Das liegt aber vor allem an der ernsten Rahmenveranstaltung und der Guckkasten-Bühne, auf der Altun gänzlich ohne technische Raffinessen auskommen muss. Meine heimliche Frage war: Was macht ein Grunge- und Garagen-Rocker, sonst Mitglied der Band Padzehir, in einer TV-Karaoke-Show? Und wie wird er mit der Kultur islamischer Gesangskunst und dem aserbaidschanischen Liedgut umgehen?

Antwort: Zunächst zügelt er sich noch, doch nach einer Minute bricht es aus ihm heraus... Bis zum letzten Ton bleibt er sich selber treu. Bravo!! Immerhin hat Altun von 11 Kandidaten den 6. Platz belegt.


Sonntag, 12. Dezember 2010

Ich zahle gerne für gute Musiker - Witloof Bay aus Belgien














… wenn man mich nur ließe. Diesmal geht es um eine Band, die an der belgischen Vorentscheidung zum Eurovision Song Contest 2011 in Düsseldorf teilnehmen möchte und dafür finanzielle Unterstützung brauchte. Leider war dies aus Deutschland nicht möglich.


Das belgische Subskriptionsverfahren
Beim Vorentscheidungskonzept hat Belgien dieses Jahr einen neuen Weg eingeschlagen. Nach dem Subskriptionsverfahren müssen Musiker zunächst von den Musikkonsumenten 20.000 Euro einsammeln, bevor sie an der Vorentscheidung im TV teilnehmen dürfen. Danach entscheiden die belgischen Zuschauer per Telefonvoting über den endgültigen Sieger.

Dieses neuartige Verfahren in der Popmusik wurde 2008 vom belgischen Label Akamusic ins Leben gerufen und nun mit einer eigenen Homepage auf die belgische Vorentscheidung übertragen. ESC-Fans investieren also in potenzielle Hits und Stars und dürfen bei Erfolg auf 40 % Gewinnanteile hoffen. Wer auf einen Act gesetzt hat, der die Hürde von 20.000 Euro bis Jahresende nicht überwunden hat, bekommt sein Geld zurück oder kann es auf einen anderen Musiker übertragen.


Ein Blick auf die Aka-ESC-Homepage beweist, dass dieses Prinzip erfolgreich ist. Zahlreiche Musiker haben ein Musikstück hochgeladen und noch mehr User haben sich bereits mit vielen Anteilen eingekauft und kommunizieren nun eifrig auf diesem Portal. 11 Acts haben bereits die 20.000 Euro zusammen. Zu ihnen zählen seit dem 04.12.2010 auch meine Favoriten Witloof Bay.


Strategien beim Subskriptionsverfahren

Offengestanden bin ich erstaunt über das bisherige Ergebnis. Im Gegensatz zum neuartigen Vermarktungsverfahren kommt mir das Ergebnis musikalisch eher rückständig vor. Ist das repräsentativ für Belgien? Oder nur für die ESC-Szene? Nach dem Durchklicken der ersten drei Seiten finde ich nichts, was mich spontan anturnt. Alles anhören ist mir zu viel.


Aber will ich denn überhaupt auf nur EIN Lied setzen? Nein, denn dann müsste ich mit einer Zocker-Strategie an die Sache herangehen. Ich würde nicht mehr das wählen, was mir als förderungswürdig erscheint, sondern nur das, was mir bei subjektiver Annahme eines allgemeinen ESC-Geschmacks für einen 3-Minuten-Act als profitabel erscheint. Möglicherweise kommt ja genau durch diese Haltung das bisherige enttäuschende Ergebnis zustande...?


Wenn ich schon investiere, dann in die Musiker

Von denen erwarte ich dann aber so viel Können und Kreativität, dass sie die Gratwanderung zwischen Publikumserwartung einerseits und kreativem Experiment andererseits zu meistern verstehen. Beim Anhören des Stückes „With Love“ von Witloof Bay vermutete ich dieses Können. Alles a capella mit Beatboxing. Das hat es beim ESC so noch nicht gegeben und für Belgien, das sich 2005 und 2008 schon mit vokalen Experimenten einen guten Ruf gemacht hat, sehr repräsentativ. Daraufhin habe ich versucht, im Internet Informationen zu den Musikern zu finden.



Wer ist eigentlich Witloof Bay?
Das Ensemble besteht aus 5 belgischen SängerInnen mit klassischer Gesangsausbildung und einem belgischen Beatboxer, der bereits Vizeweltmeister im Beatboxen war, und zwar RoxorLoops. Sie machen seit 2005 im Bereich Jazz und Pop gemeinsam Musik, und zwar strikt a capella. Sie schreiben eigene Arrangements, mittlerweile auch eigene Stücke und kreierten sich damit ihren persönlichen Witloof-Bay-Stil, den man sich auf ihrem 2007 erschienenen Album anhören kann.


Auffallenderweise haben sie bei Akamusic die meisten Produzenten und die meisten Fans, mussten sich allerdings mit relativ kleinen Anteilen nach oben arbeiten. Auf meine Frage, ob sie denn in Belgien schon so bekannt seien, antworteten sie: „We started giving concerts 4 years ago, and we start to have a good fan club in Belgium with many concerts (even in schools). We already sang abroad: Germany, France (a lot), Switzerland, Italy. We'll be tomorrow (11.12.10) in Netherlands, in January in London for the London a cappella festival with the Swingle Singers, and in August in Argentina.“


Mit mir haben sie zumindest auch schon mal einen Fan in Deutschland, aber finanziell unterstützen konnte ich sie leider nicht. Das verhinderte das belgische Konzept.


Nationalismus als Teilnahmebedingung?
Es durften nur solche Musiker ihr Musikstück hoch laden, die seit mindestens 2 Jahren ihren Wohnsitz in Belgien haben. Wenn man bedenkt, dass es beim ESC fast Kult ist, dass Interpreten und Komponisten nicht aus den Ländern kommen, für die sie beim ESC antreten (Ralph Siegel ist schon fast für jedes europäische Land angetreten), macht diese Beschränkung keinen Sinn. Für ein neuartiges popkulturelles Experiment finde ich es zu rückwärtsgewandt und als Internetkonzept einfach unmöglich. Ich meine, dass diese Rückständigkeit sich auch im bisherigen Ergebnis widerspiegelt.


Nicht mal die finanzielle Unterstützung als Shareholder aus Deutschland klappte, zumindest wurden meine Karten nicht akzeptiert. Diese Beschränkung ist wiederum bedauerlich für die Musiker. Akamusic und/oder die belgischen Organisatoren wollen sich wohl nicht vorstellen, dass den Fans die Musik wichtiger ist als die Nationalitätszugehörigkeit.


Vielleicht irre ich, aber meine Fragen an Akamusic blieben unbeantwortet, die Macher sind anonym. Denn einige Fragen bleiben bei diesem Konzept offen. Was ist mit den Anteilen, wenn die Favoriten zwar in die Vorentscheidung kommen, aber es nicht bis zum ESC schaffen? Wie lange verdient man am Lied?


Dafür ist die Usability der Seite sehr gut, so dass man das Gefühl bekommt, Akamusic bestünde nur aus einem Programmierer und einem Vermögensverwalter.




Sonntag, 5. Dezember 2010

Ich zahle gerne für gute Musiker - Beispiel Siddharta aus Slovenien

… wenn man mich nur ließe. Bei meinem Erlebnis mit Siddharta handelt es sich nicht – wie der Name vielleicht andeuten mag – um ein religiöses Erlebnis, obwohl buddhistische Geduld und Leidensfähigkeit durchaus nützlich gewesen wären. Es handelt sich schlicht um ein Erlebnis, dass ich als normale Musikkonsumentin und Fan der europäischen Musik mit unserer sonderbar aufgestellten Musikindustrie hatte.

Angeregt durch unseren geselligen Regio-Contest in Berlin stieß ich auf die slowenische Hardrock-Band Siddharta.





Da mir die Musik gut gefällt, versuchte ich über Berlins Kulturkaufhaus Dussmann eine CD zu bestellen. „Das kann lange dauern und etwas teurer werden, ist ein Import, wahrscheinlich US.“ Warum, frage ich mich, muss ich eine CD aus Slowenien teuer aus den USA beziehen?


Also ging ich ins Internet und fand schnell die Homepage der Band. Schließlich sind sie in Slowenien bereits seit 20 Jahren bekannt und beliebt. Die Seite hatte sogar einen Shop, nur konnte man da nur mit slowenischer Währung bezahlen. (Auch so eine Sache!) Das war mir zu riskant. Daraufhin habe ich über myspace Kontakt zur Band aufgenommen und sie gefragt, ob sie mir gegen Rechnung oder Barzahlung per Post zumindest die EP meines Lieblingsliedes schicken könnten. Die Band reagierte sofort, man wollte sich kümmern.


Wochen später kam von Siddharta die Aufforderung, die EP im Voraus zu bezahlen, dafür gab man mir Kontaktdaten. Bei der Bank erfuhr ich, dass mir eine einfache Überweisung nach Slowenien 15,00 Euro Gebühren kosten würde. Wie bitte?! Für eine CD, die 9,00 Euro kostet? Jeder kann sich vorstellen, wie viel Arbeit Musiker investieren – über gemeinsames Üben von der Komposition bis zur Einspielung auf CD – um überhaupt eine CD herauszubringen. Das wird dann insgesamt für 9,00 Euro angeboten. Und die Bank verlangt für das Ausfüllen einer Überweisung 15,00 Euro Gebühren? Am Bankautomat könne ich mir die Gebühren sparen, hieß es. Gesagt, getan, das Ganze hat mir 2 Minuten Zeit gekostet, hoch gerechnet ergibt sich daraus für die Bank also ein Stundenlohn von 450,00 Euro. Für „nichts".


Aber es klappte und keine ganze Woche später fand ich in meinem Briefkasten die lang ersehnte CD von Siddharta. Das hat mich so gefreut, dass ich über Silvester eine Reise nach Ljubiljana buchen werde, um mich noch mal persönlich bei der Band zu bedanken.


Die europäischen Nationalkäfige der Musikindustrie

Wo lebe ich eigentlich? Und: In welcher Zeit lebe ich eigentlich? Lang ist es her, dass der Eurovision Song Contest die einzige Möglichkeit war, überhaupt Musik aus dem übrigen Europa zu hören. Hatte man sich allerdings in ein Stück verliebt, dass z. B. „nur“ den 2. Platz erreicht hatte, hatte man Pech, dieses Lied hörte man nie wieder. Nicht zuletzt aufgrund dieser Musikmisere entstand die OGAE, ein Zusammenschluss von ESC-Fans verschiedener Länder, wo man – teilweise gegen viel Geld – seine Favoriten doch noch erwerben konnte.


In dieser Hinsicht hat das Internet für ESC-Fans paradiesische Verhältnisse geschaffen. Auf Homepages der Stars oder gar youtube findet man alles, was das Herz begehrt. Man kann sogar die Vorentscheidungen einzelner Länder im Internet verfolgen. Nur eines kann man immer noch nicht:


Die Musik aus Europa ganz normal kaufen

Sicherlich hätte ich das Musikstück von Siddharta mit ein paar Mouseklicks schnell und sogar umsonst bekommen können. Aber zeigt mein Erlebnis nicht beispielhaft, dass Musikfans geradezu zu anderen Wegen gezwungen werden? Und da heult die Musikindustrie uns die Ohren voll von illegalen Downloads?


Da wächst Europa angeblich zusammen, aber die Musikindustrie scheint nicht mal ansatzweise daran interessiert zu sein, ihr Angebot dahingehend zu erweitern. Stattdessen erlebt man derzeit in Deutschland genau den gegenläufigen Trend. Man spart an Musik und Musiker und setzt nur noch auf Werbung für billig gepuschten amerikanischen Einheitsbrei und Kunstprodukte, für musikalisches „Nichts“. Geradezu bezeichnend, wie schon das Interesse für Musik und Musiker aus anderen europäischen Ländern im Keim zerstört werden soll, wenn uns beispielsweise der Eurovision Song Contest mit großartigen Schlagzeilen gar als ein Lena-Liederwettbewerb angegaukelt wird.