Dienstag, 26. Mai 2009

Jury? Warum eigentlich nicht?

Dieses Jahr hat die Jury beim Eurovision Song Contest ihr Comeback gefeiert. Zu 50% hatten sie Einfluss auf das Endergebnis. Hat sich dadurch etwas am Ergebnis verändert? Vielleicht. Die Wiedereinführung finde ich zwar einfallslos, wenn man aber den Contest über viele Jahre hin verfolgt, kann ich rück- und vorwärts blickend der Jury auch viel Gutes abgewinnen.

Wer erinnert sich noch an Tony Marschalls Lied "Der Star"? Es war der vom Publikum mittels Postkarten ermittelte Sieger der Vorentscheidung von 1976. Kurze Zeit später stellte sich heraus, dass das Lied so neu nicht war. Der Sieger wurde disqualifiziert, Ralph Siegel als Zweitplatzierter rückte nach und fuhr zum Song Contest. Das war nun das Ergebnis einer Publikumsabstimmung? Irgendwie war immer Jury.

Ach, was hätte ich diesem "Star" doch damals beim Contest die Daumen gedrückt, wie zuvor schon Katja Epstein, Mary Hopkins oder Mary Roos...
damit er vor der unberechenbaren Jury bestehen möge. Hand auf's Herz: Hat das Telefonvoting nicht letztenendes genau diese naive Spannung vertrieben? Und hat sich nicht vor allem das Verhältnis zum Star verändert, seitdem Zuschauer als Telefonvoter zu Mitgestaltern der Sendung wurden?

Vom intimen Starkult zu entsolidarisierenden Hypes

Mit seiner Einführung seit 1997 rückte der Wettbewerbscharakter zugunsten der Musik ins Zentrum des Medieninteresses. Angefeuert wurde der "Telefonier-Wettbewerb" mit polarisierenden Musikstücken wie "Piep, piep, piep, Guildo hat euch lieb" oder "Wadde hadde dude da?", durch Hypes aus Schweden oder Israel, schließlich zeigte uns selbst das durch die Jury erfolgsverwöhnte Irland in Belgrad den Vogel (Dustin). Bei mir stellte sich der Eindruck ein, dass diese Acts als Appelle an Spaß und Schadenfreude den "Star" nur noch vorführten.

Weitere negative Folgen wurden hinlänglich diskutiert. Sie übrigens nur dem Publikum anzulasten, halte ich für eine Frechheit. Dennoch eine kleine Zusammenfassung:

Bekannte Künstler wagten angeblich die Teilnahme nicht mehr, sie sahen sich auf der Bühne der völligen Unberechenbarkeit ausgeliefert. (So sind nun mal die kapitalistischen Marktbedingungen, aber was soll's.) Der Musik wurde Effekthascherei vorgeworfen, was als Qualitätsverlust verstanden wurde. Unter Fans nahm ich wahr, dass ein intimer Starkult mehr und mehr durch entsolidarisierende Hypes ersetzt wurde. In der Illusion der Einflussnahme im Rahmen einer ausgeklügelten Kundenbindungsstrategie ist die Frustration vorprogrammiert. Denn wie groß ist der Einfluss eines einzelnen? Wie viele Türken lassen sich überreden, für den deutschen Beitrag anzurufen? Sollte die Schwulen-Community nicht jedenfalls beim schwedischen Beitrag fest zusammenhalten? Fragen über Fragen... Letztenendes blieben die beliebten Stars aus, und die ständige Genese und Demontage von Wegwerf-Stars ermüdete.

Eine weitere bereits hier erwähnte Folge des Telefonvotings und der Einbindung zum aktiven Mitspieler ist die vollständige Vereinnahmung und Kommerzialisierung der Fankultur und der fanspezifischen Rezeption. (s. Blogtext 2008 "Früher war alles besser")

Die Jury schafft Distanz

Betrachtet man die negativen Folgen, liegen die positiven Folgen für die Fans auf der Hand. Die Jury schafft Distanz. Ohne dass Fans ihr Partizipationsverständnis aufgeben müssen, können sie die kritische Distanz zum Geschehen wieder für sich behaupten. Damit können auch Urteil und Engagement der Fans nicht mehr komplett von den Organisatoren vereinnahmt werden. Die Chance besteht jetzt darin, das Verhältnis zum Star und zur Musik selbstbestimmter zu gestalten und endlich das Engagement außerhalb der Show professioneller zu pflegen. Ziel könnte schließlich sein, dass Fanclubs einen eigenen Beitrag für den Eurovision Song Contest ermitteln.

Dienstag, 19. Mai 2009

Danke Moskau. Danke, Europa. Danke, Dita.

Clever gemacht, Dita! 50.000 Euro für 50 Sekunden. Dabei reichte es aus, zwei volle Brüste zu haben, sie musste sie nicht einmal vorführen. Hoffentlich hat man ihr vorher genau erklärt, worum es beim Eurovision Song Contest geht und dass es eine Familiensendung ist, ein europäischer MUSIK-Wettbewerb, sonst könnte sie noch auf die Idee kommen, für diese rufschädigende Niederlage (sie ist ja nun mal keine Musikerin) noch Schadensersatz in gleicher Höhe einzufordern. Ohnehin wäre es für diese Veranstaltung angemessener und origineller gewesen, ihren Ex-Mann zu engagieren: Marilyn Manson.

Genau wie der diesjährige belgische und niederländische Beitrag war Deutschland eher was fürs Betriebsfest. Ich denke da so an VW: Ein zuhälterlich wirkender Pianist, ein ahnungsloser schwuler Boy, Tänzerinnen in einer Mischung aus Domina und BDM und ein amerikanisches Busenwunder. Immer mehr Fans und interessierte Zuschauer pflegen genüsslich ihre Schadenfreude, wenn die niveaulosen deutschen Beiträge mal wieder abgestraft werden. Dieses Jahr auch schon mal offen und laut, denn durch die Streichung des Televotings und der Vorentscheidung ist endlich deutlich geworden:

Wie im richtigen Leben

Dieser Geschmack repräsentiert nicht die Zuschauer, sondern den Zustand deutscher Management-Etagen, wobei ich deren Vertretern nicht mal Böswilligkeit unterstelle. Nur noch dem eigenen Interesse verpflichtet, müssen sie sich um Anstand und Zustimmung schon lange nicht mehr scheren. Fans, die sich nur ungern jedes Jahr aufs Neue um ihr Vergnügen bringen lassen, werden kumpelhaft zu Komplizen gemacht wie bange Betriebsangestellte. Bei so viel Penetranz und Mangel an kritischem Verstand verfallen nicht nur die Hofberichterstattung, sondern auch die Journalisten schließlich der Dauerschleife des Adoranten-Geschwafels.

Statt ehrlichem Eingeständnis und kritischer Analyse dieser wichtigen Niederlagen wird schon wieder geschäftig - oder besser kopflos - nach erfolgreichen Konzepten gesucht. Fragt sich eben nur, was deutsche Solipsisten unter Erfolg verstehen…

Mittwoch, 6. Mai 2009

Wenn einem Demonstrationen zu bunt werden

„Zur Fangemeinde des ESC gehören bekanntlich überdurchschnittlich viele Schwule. Auf deren Unterstützung hoffen im Mai die Organisatoren des Slavic Pride“. So beginnt eine Auseinandersetzung mit der geplanten Moscow Pride am 16.05.09 auf der Seite Vorwaerts.de.

Diese Parade ist von der Stadt Moskau nicht genehmigt, dennoch werben u. a. auch die deutschen Blogger kräftig dafür, u. a. mit Bezug auf prominente Homosexuelle wie z. B. Elmar Kraushaar. Dieser behauptet, dass „die Schwulen beim ESC eine Macht sind. Ohne sie geht gar nichts.“

Dies äußerte er letztes Jahr im Zusammenhang mit einem Russland-Boykott, der aber mangels Unterstützung im Sande verlief. Im Gegensatz zu den Aktivisten hat Kraushaar schnell vor den ESC-Fans resigniert: „Die schwulen Festivalfans sind mehrheitlich unpolitisch und fühlen sich nur ihren Idolen verpflichtet - kein Gedanke an Boykott.“ Jan Feddersen als „schwules Aushängeschild“ gäbe sich auch „ganz blauäugig“ wenn er schreibe: „Dass die Schwulen sich in Moskau nicht mehr so herzhaft mit Wangenküsschen begrüßen werden, ist wahrscheinlich verschmerzbar."

Ich begrüße Feddersens Haltung, mir ist sie aber noch nicht Abgrenzung genug. Warum?

Die Fanclubs sind nicht politisch motiviert und organisiert, es sind lose Zusammenschlüsse von Schlagerfans. Schaut man auf deren Homepages, sieht man, dass der hohe Anteil schwuler Fans eher zufällig ist, in erster Linie geht es dort um Musik. Diese Fans fahren im Mai nicht als organisierte, geschlossene Gruppe, sondern individuell nach Moskau.

Von einer Demo-Organisation finde ich es prinzipiell unseriös, politisch unorganisierte Menschen überhaupt mit einer verbotenen Demonstration in einem Nicht-EU-Land zu konfrontieren. Das wird kein Sonntagsspaziergang, darauf würden sich wahrscheinlich nicht mal gewaltbereite Autonome einlassen.

Weitere Fragen: Welche Gruppierungen nehmen sonst noch teil? Von welchen Gruppen wird die Demo in Russland und in Europa anerkannt und unterstützt? Wer finanziert das? Welcher Gruppe kann ich mich möglicherweise anschließen? Gibt es dazu einen Stadtplan? Wie verläuft die Demo-Route? Wo finden Kundgebungen statt und in welcher Sprache? Wer wird sprechen? Gibt es dazu informative Basistexte? Und:

Warum ausgerechnet am 16.05.09?

An dem Tag dürfte kein Fan Zeit haben. Außerdem wünsche ich mir für die Generalprobe und für das Finale die Sicherheitskräfte lieber in Nähe des Austragungsortes und nicht bei einer verbotenen Demonstration.

Auffallenderweise findet man kaum brauchbare Informationen, dafür um so mehr Schimpfe gegen die russische Regierung und anti-intellektuelle Appelle an schwule Märtyrerfantasien, auch in den deutschen Medien! Alles scheint nach Negativschlagzeilen zu lechzen. Hier nur ein Beispiel.

Nur die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti gibt eine Einführung in den russischen Gesellschaftsdschungel und zählt schwulenfeindliche Gruppen auf. Man erkennt, dass die angefeindete russische Regierung eher eine moderate Haltung einnimmt.

Was auch immer das Anliegen der Gruppe homosexueller Aktivisten in Russland sein mag, ihre Strategie ist unseriös und unglaubwürdig, schlicht eine Zumutung. Die Aufforderung zur Slavic Pride oder Moscow Pride (?) ist ein gewagtes wie auch umstrittenes Vorhaben, die einzige seriöse Auseinandersetzung kann meiner Meinung nach nur auf politischer Ebene stattfinden:

http://www.ukgaynews.org.uk/Archive/09/Mar/2301.htm

Freitag, 1. Mai 2009

Top-Ten und keinen interessiert's?

Es wird beim Contest immer schwieriger, zwischen künstlerischem Engagement und Verkaufsstrategien oder zwischen Produkt und Verpackung zu unterscheiden. Der NDR? oder Alex C. und Oscar L.? machen die Unterscheidung mit ihrem „Swing, Step, Schwul, Strip“ nicht einfacher. Zur Wettbewerbsverzerrung durch den Big-4-Status kommt dieses Jahr via Jury auch noch eine verstärkte Kontrolle der Bewertung. Alles in allem sehr berechnend.

Ich nehme aus Fanperspektive Bezug auf das Interview mit Thomas Schreiber vom NDR.


Herr Schreiber ist also enttäuscht über die Äußerungen der Fans und Zuschauer in den Blogs? Grundsätzlich wirkt auf mich schon das Gesamtstatement von Herrn Schreiber im Interview wie das einer Werbeagentur, die sich bei Kunden beschwert, wenn ihre Werbung nicht ankommt. Kann es sein, dass sich da ein Denkfehler eingeschlichen hat? Schließlich soll nicht der NDR, sondern das Produkt Musik beim ESC gut ankommen. Aber vielleicht bekomme ich das mit Produkt, Verkaufsstrategie, künstlerischem Engagement… schon wieder alles durcheinander.

Um auf seine Enttäuschung zurückzukommen: Gerade bei oder über uns ESC-Fans kann sich niemand beschweren, denn wir haben niemandem etwas versprochen, eher umgekehrt. Beklagen kann sich Herr Schreiber bestenfalls bei den alt-eingeschworenen Fans von Oscar Loya oder Alex C. Nebenbei bemerkt lebt unsere ESC-Fankultur sehr vom in-put, insofern wären wir über den Zulauf dieser Fans erfreut gewesen. Aber diese Fans gibt es nicht. Und das erklärt das große Desinteresse der Allgemeinheit. Ich frage mich, wer sich bei einer Platzierung unter den Top-Ten überhaupt freuen soll?

Der meiner Meinung nach 2. Denkfehler des diesjährigen Konzeptes: Für gute Musik, gute Show, gute Bewertung und stimmige Einschaltquoten MUSS das das Verhältnis zwischen Zuschauer und Musiker stimmen. Das setzt voraus, dass es zumindest eine Fangemeinde gibt. Genau das hätte man vom sog. Diaspora- oder Nachbarschaftsvoting lernen können: Mit dem wachsenden Zuspruch für bestimmte Länder wurden deren Beiträge und Platzierungen immer besser. Nur, wo sich unnötigerweise die Organisatoren zu sehr einmischen, wird die Musik schlechter mit entsprechenden Folgen. Ein gutes Beispiel hierfür ist Schweden.

Herr Schreiber hat Recht, wenn er sich nicht „von unseren Aufsichtsgremien vorhalten lassen will, dass wir unsere Gebührengelder für Verkaufszwecke anderer einsetzen.“ Fanpflege ist Aufgabe der Musiker. Insofern hat er es sich dieses Jahr aber sehr schwer gemacht. Die Briten hingegen scheinen das begriffen zu haben. Ihr Organisator ist der weltbekannte Musiker Webber, und der hat mit aller Selbstverständlichkeit gewusst, wie er den Publikumszuspruch systematisch aufzubauen hat, und zwar mit Musik. Und Frankreich stellt mich jedenfalls nicht vor die Frage: Was ist hier Produkt und was Verpackung, denn Patricia Kaas wird hoffentlich ohne Stripperin auskommen.

Der NDR hingegen hat sich in einer Art Intoleranz gegenüber des guten Fan-Musiker-Verhältnis’ beim Migrantenvoting dafür eingesetzt, die Bürokratie und Organisation top-down zu verstärken und somit das Fan-Musiker-Verhältnis zu entkräften. Ob dem Musiker das mehr Engagement abverlangt, ob es ihm Fans und bessere Einnahmen bringt, sei dahingestellt.

Aber wir Fans sind bestimmt nicht dümmer als die Jury. Sollte der NDR also noch jubelnde Fans brauchen, sage man uns nur, bis wann, wie viele und was er auszugeben bereit ist.