Donnerstag, 1. Juli 2010

Der ESC-Sieg im Zeitalter seiner strategischen Reproduzierbarkeit

Lena soll 2011 ihren Titel verteidigen. Eigentlich kann sie auch ein 3., 4., 5. Mal teilnehmen. USFO hat mit seiner erfolgreichen, alles und jeden umschmeichelnden Strategie klar gestellt, dass es in Deutschland keine Alternativen mehr gibt.






Wer will noch an etablierte Musiker mit Nachhaltigkeitsanspruch glauben, wie z. B. Jan Delay, Sasha, Xavier Naidoo, Adel Tawil, Nena, Müller-Westernhagen...? Auch sie haben als Juroren USFO beschworen, sich vorbuchstabieren lassen, wie wahrer Erfolg zu funktionieren hat und können sich nun bei der nächsten Karaoke-Show überzeugt hinten anstellen... oder sie kopieren das Konzept wie Sido.

Den Sieg beim Eurovision Song Contest banalisiert
Hatte sich der NDR mit Raabs kultivierter Unterstützung 1998 noch damit begnügt, die ESC-Show durch den Kakao zu ziehen, ist man 2010 einen Schritt weiter gegangen und hat mit einer Top-down-Kampagne den Sieg beim ESC schematisiert und damit banalisiert. Auch die Ankündigung einer Titelverteidigung noch am Finalabend ist eine solche Banalisierung und stellt zugleich die Erfolgsmeldungen zu USFO in Frage: keine Wiederholung.


Die Organisatoren bauen keine Musiker als Testimonial auf, um sie ein Jahr später gegen die Wand zu fahren. Daher erwarte ich, dass Lena bei ihrer 2., 3., 4., 5. Teilnahme genauso überraschend gewinnen wird wie beim 1. Mal.

Genug der Polemik!
Deutschland hat gewonnen, aber für Fans, Musik und Musikszene empfinde ich das als einen Verlust. Meine kritische Distanz erklärt sich zunächst einmal damit, dass sich die Macher mit ihren Erfolgsmeldungen zur Kooperation zu sehr in den Vordergrund geschoben haben. Das nahm der Unterhaltungsshow von vorneherein den Zauber und gab ihr einen abgeklärten und autoritären Anstrich.


Noch bevor überhaupt zumindest Kaufentscheidungen hätten gefällt werden können, fühlte man sich als Publikum genauso entmündigt wie die Musikszene. Ausschließlich einen Karaoke-Star als ESC-geeignet zu feiern, entwertet nicht nur deren selbstbestimmten Musikerprofile, sondern auf längere Sicht auch den ESC. Statt hier mit europäischer Vielfalt zu experimentieren, scheint man mit globalisierter Kraft das Niveau des anglo-amerikanischen Formatradios durchsetzen zu wollen.

Genau das, was USFO vorgab zu produzieren, habe ich vermisst: Originalität, Emotion, Natürlichkeit, Glaubwürdigkeit, Aura. Ich hatte zu keiner Zeit das Gefühl, ernst genommen zu werden, etwas zu entdecken, konnte nichts richtig auf mich wirken lassen, vergleichen, Geschmacksfragen ausdiskutieren. In einem 3-monatigen Hau-Ruck-Verfahren wurde ein No-Name zum Sieger hoch gepuscht und uns mit penetranter PR so lange um die Ohren gehauen, bis keiner mehr wagte, etwas dagegen zu sagen.


Nie zuvor wurde so nachhaltig versucht, die Fankommunikation zu lenken und Akzeptanz zu erzwingen. Und Medienhypes, die als Top-down-Kampagnen angesetzt und als "Nationale Aufgabe" deklariert werden, beweisen bestenfalls, dass die Zuschauer die Erwartungshaltung erfüllen.

Welchen ideellen Wert hat ein Sieg beim Song Contest nun noch?
Gibt es jenseits von Punktetabellen, Chartlisten, Downloadraten, Medienhypes und Aktienkurse überhaupt noch einen ideellen Wert? Ja, aber nur wenn Fans ihn selber beisteuern. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die
spannende Analyse und liebevollen Arrangements von Satellite von Amateuren auf youtube. Sie waren das Beste an der gesamten Lena-Kampagne, wurden aber von den Machern strikt ignoriert. Deren Arrangement von Satellite, dem Videoclip und der Finalperformance war genauso statisch-flach wie ihre Kampagne autoritär und eindimensional geführt wurde.

Lenamanie
Ich gehe mal davon aus, dass Lena eine talentierte und kluge Frau ist. Aber an ihrer inszenierten Blitz-Karriere, ihrem ausgesprochen schmalspurigen Musikerprofil und ihrer Performance überzeugt mich nichts. Müßig die Frage, ob Lena singen und englisch sprechen kann oder nur davon träumt. Als ein Kunstprodukt der Musikindustrie wird sie uns mit viel Promotion aufgezwungen, insofern darf man auch mal ein paar gerade Töne erwarten.

Statt aber diese Erwartung zu erfüllen, zelebrierte sie ihre Unzulänglichkeiten, was im Kreise ihrer älteren Urheber entsprechend primitiv, ja beinahe publikmsverhöhnend wirkt. So wie hier im Video würde wohl auch keine Delegation sich und seine Interpretin präsentiert haben, wenn der Ausgang des Wettbewerbs völlig offen gewesen wäre.