Sonntag, 29. September 2013

Bundesvision Song Contest 2013 – Bosse gewinnt und unser Star für Kopenhagen könnte MC Fitti sein

Der Auftritt von MC Fitti beim Bundesvision Song Contest war eine Eurovisions-reife Überraschung. Bis gestern habe ich ihn nur als einen Spaßvogel wahrgenommen, der Konzerte in Trams und Sightseeing-Busse gibt und in stundenlangen Radiointerviews immer wieder sein eigenes Lied hören möchte - „Bitte spiel es doch noch mal, oh, das ist so schön, nicht wahr?“ - und damit das Formatradio ad absurdum führt. 

Bei seinem gestrigen Auftritt waren Lied, Lightshow und Performance stimmig. In seinem Outfit erinnerte er mich an Sébastian Tellier, der 2008 für Frankreich angetreten war. 
 

Sympathisch auch, wenn er zu seiner Konkurrenz auf die Bühne sprang und für sie warb. 

„MC Fitti, was wirst du machen, wenn du gewinnst?“
„Ich werde mit Bosse tauschen.“ 

Der (zufällige?) Witz dieser Antwort erschloss sich mir erst, als Bosse tatsächlich gewann. Den ganzen Abend hatte MC Fitti den Wettbewerb auf angenehme Weise untergraben. Den Rest erledigte die Technik, denn man konnte beobachten, wie die Punkte visuell schneller zum jeweiligen Kandidaten huschten, als die Moderatoren der Radiostationen sprechen konnten. Warum auch nicht? Oder nimmt irgendjemand diese Wettbewerbe noch ernst?

Dumm ist das für den Zweitplatzierten Johannes Oerding für Hamburg, denn der war genauso gut wie der Erstplatzierte Bosse für Niedersachsen. Vielleicht war es ja die außergewöhnliche Tanzeinlage, der Bosse seinen Sieg zu verdanken hat, sein Outfit kann es jedenfalls nicht gewesen sein. 

Ich hatte bei diesem BuViSoCo den Eindruck, einer Big-Brother-Show in einer Riesen-WG zu folgen. Die Teilnehmer präsentierten statt Wettkampf brüderliche Geschlossenheit, und sie unterschieden sich lediglich im Ausmaß ihrer Schruddeligkeit. Das Gute daran war, dass man so nicht Äpfel mit Birnen vergleichen musste. Und es war vorher schon klar, dass die routinierten Stars auf der linken und die unerfahreneren Stars auf der rechten Seite der Tabelle landen würden. Was aber Professionalität und Unterhaltungswert der Show betrifft, ist Raab damit weit unter das Niveau der diesjährigen Vorentscheidung der ARD gefallen, die er ursprünglich toppen wollte. Die war abwechslungsreicher. Wenn er immer noch damit wirbt, dass junge deutsche Musiker nur bei ihm die Chance eines TV-Auftritts bekommen, möchte ich da ein großes Fragezeichen setzen.

Stattdessen frage ich mal provokativ, ob es in Deutschland immer noch keine Behinderte oder keine Menschen mit Migrationshintergrund beispielsweise aus der Türkei oder dem Iran gibt, die Musik machen. Die einzige dunkelhäutige Sängerin Luna Simao, die für Schleswig-Holstein einen guten 6. Platz holte, war durch ihr Alter (17 Jahre) leicht „gehandicapt“. Sie durfte nämlich nach 23:00 Uhr nicht mehr auf die Bühne. Diese Artigkeit wurde peinlich, als zum Schluss alle auf der Bühne standen, und nur sie im Zuschauerraum bleiben musste. Was sollen Menschen denken, die ohne deutsche Sprachkenntnisse diese Show verfolgen? 

Als Eurovisions-Fan verfolgt man nämlich gerne Vorentscheidungen anderer Länder, und da werden die eben genannten Gruppen durchaus integriert. Der einzige Deutsche, der bislang Behinderte und Migranten einen internationalen ESC-Auftritt ermöglicht hat, war übrigens Ralph Siegel – und das liegt viele Jahre zurück. Weder Raab noch Guildo Horn (Musiktherapeut für Behinderte) noch der NDR haben daran etwas geändert. Im Gegenteil.

Genau wie beim Bundesvision Song Contest werden auch bei der Deutschen Vorentscheidung wie beim ESC Musik und Musiker immer mehr zur Nebensache, stattdessen rücken sich zunehmend die Organisatoren in den Mittelpunkt, die nur noch auf den Wettbewerb und seinen Abstimmungsmodalitäten und -ergebnissen herumreiten.

Und genau deswegen wünsche ich mir zur allgemeinen Entkrampfung endlich mal wieder einen Spaß-Act aus Deutschland beim ESC, und der könnte MC Fitti heißen.


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Mittwoch, 4. September 2013

Wie der Neofaschismus in der Popkultur salonfähig gemacht wird

Am 22.07.2011 ereignete sich in Norwegen ein doppelter Terroranschlag. Im Regierungsviertel der norwegischen Hauptstadt explodierte eine Bombe, kurze Zeit später wurde auf ein Jugendlager auf der Insel Utoya ein Anschlag verübt. Insgesamt 77 Menschen kamen dabei ums Leben. Der Attentäter war der rechtsradikale christliche Fundamentalist Anders Behring Breivik.

Einige Stunden vor dem ESC-Finale in Düsseldorf schrieb Breivik Folgendes in sein Manifest: "Saturday May 14 - Day 13: It's the Eurovision finale today. I just love Eurovision...!:-) It's a lot of crap music but I think it's a great show all in all. I've seen all the semi finals and will take the time of to watch it later today, online. My country has a crap, politically correct contribution as always....I hope Germany wins". 

Einige Stunden später gewann nicht Germany, sondern Aserbaidschan. Für Norwegen war die 25-jährige Kenianerin Stella Mwangi, für Deutschland zum 2. Mal Lena Meyer-Landrut gestartet. 

Mit diesem Zitat outete sich Breivik als prominentester Fan des Eurovision Song Contest und der deutschen Lena-Meyer-Landrut und wies damit auf Querverbindungen zwischen Eurovision und einem im Internet verdeckt tätigen europäischen Neofaschismus hin. In den Medien wird Breivik als Einzeltäter abgestempelt, in seiner Gesinnung ist er es nicht, er repräsentiert ganze Netzwerke im Internet. Ein Jahr nach dem Attentat hat beispielsweise Politically Incorrect seine Abschlussrede nicht nur veröffentlicht, sondern in gutes Deutsch übersetzt, in der Breivik ein weiteres Mal im Rückgriff auf den ESC ungestört sein Weltbild rechtfertigt. Norwegische ESC-Teilnehmer werden abfällig als „Asylanten mit Tatarenhintergrund“ bezeichnet deren Beliebtheit ein Hinweis auf „die psychische Krankheit", auf "kulturelle Zwangsvorstellungen und kulturelle Selbstverachtung hinweisen, was einer einer sofortigen Medikamentierung bedarf“. 

Man kann an dem Fall Breivik doch erkennen, wie der Mix eines Täuschungsmanövers mit 
  • vordergründig harmlosen Events (sei es der ESC, Olympia oder die EM) und 
  • des Etiketts des „pro-Amerikanisch-pro-Israelischen“ (PI, welcher Deutsche wagt schon, dagegen was zu sagen?) mit 
  • künstlichen Betroffenheitsszenarien und totalitären Spaßkampagnen à la Lena 
leicht außer Kontrolle geraten kann. Dieser mögliche Ursache-Wirkungs-Zusammenhang und seine Gefahren werden von Medien und Politik tabuisiert. Keiner hat professionell hinterfragt, was die deutschen „Lenastheniker“ (so verniedlicht nannten sich die PR-Multiplikatoren in Rundfunk, Politik, Wirtschaft und Kirche) so "richtig" gemacht haben, dass sich Neofaschisten im Internet davon angesprochen fühlen. Wozu überhaupt dieser ganze Lena-Kack? 

Lieber schüren Medien und Politik die Skepsis gegen das „böse Internet“ und verweisen auf die Kontrolle von Verfassungsschutz und Geheimdiensten. Ausgerechnet. Nach all den Infos zu NSU und NSA finde ich das bedenklich, mir wäre die Kontrolle einer aufgeklärten und kritischen Öffentlichkeit genauso wichtig. 

Seitdem bin ich mit meinen Fragen allein...
Dass nicht mal die jüdische Gemeinde daran Anstoß nimmt, wenn unter dem Etikett des „Pro-Israelischen“ ein mörderischer Rassismus verbreitet wird, irritiert mich maßlos. 

Unklar ist mir auch, warum sich nach Bekanntwerdung des Breivik-Zitates die verantwortlichen Profiteure und Supporter dieser Eurovisionskampagnen bis heute nicht gegen rechte Gewalt abgegrenzt haben. Jeder Ernst zu nehmende Künstler hätte dies getan – schon allein um seine Fans zu schützen. Welcher Fan will sich schon mit den Breivik-Brüdern in einer Schublade wieder finden? 

Stattdessen registrieren Medien und die straff organisierten schwulen Männerbünde der Eurovision vor Olympia jeden umgekippten Sandsack in Russland, aber mit einem neofaschistischen Massenmörder in den eigenen Reihen haben sie kein Problem. 

Was die erfolgsverwöhnten Stars betrifft kann ich mir ausrechnen, welches Kaliber jetzt Schenkel klopfend vor der Glotze sitzt, wenn Stefan Raab eine Polittalkshow moderiert oder Lena Meyer-Landrut in der Sesamstraße das Kinderprogramm bestreitet.

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