Donnerstag, 22. Januar 2009

Ich wünsche mir moderne poppige Acts

Der Song Contest tritt in seine heiße Phase und mit ihm die Spekulationen und Diskussionen. Was im Spaß beginnt endet mitunter in verbitterten Wortgefechten, an der sogar schon Freundschaften zerbrachen und langjährige Vereinsmitgliedschaften aufgekündigt wurden. Ein Kleinkrieg zum Schmunzeln. Aber was machen eigentlich Fans, deren Alltag sporadisch vom realen Krieg heimgesucht wird?
















Meine Frage an Talia aus Haifa: Unsere Medien sind voll mit Berichten aus Israel, eine Info zum israelischen Contest-Beitrag wirkt fast irritierend. Wie ist das bei euch?


Talia: Natürlich mag das auf viele Deutsche irritierend wirken, und eher aus diesem Grunde poste ich seit der Operation im Gaza-Streifen nur sehr vorsichtig in die Foren. Ich befürchte feindselige Kommentare und Fragen, wie ich mich mit der israelischen Contest-Teilnahme befassen kann, wo wir gerade Krieg haben. 2002 herrschte in den ausländischen Foren starke anti-israelische Stimmung, aber selbst die wenigen, die auf unserer Seite waren, haben mich empört gefragt, wie ich mich über die Übersetzung des kroatischen Beitrags ins Englische aufregen kann, wenn bei uns täglich Busse in die Luft gehen.
Wie kann ich ihnen erklären, dass ich gerade deshalb etwas Ablenkung brauche?!

Israel hat sich ja bereits für zwei Interpretinnen festgelegt. Wie findest du die Entscheidung?

Talia: Die Sängerin Noa (bürgerlich Achinoam Nini) wird Israel vertreten und gemeinsam mit der arabischen Sängerin Mira Awad im Duett singen. Die IBA scheint zu glauben, dass angesichts der schwierigen Lage ein Friedenslied das Richtige ist. Ich befürchte, dass Europa uns das nicht abkaufen wird, es wird anbiedernd und unglaubwürdig erscheinen. Waren Sarit Hadad, David D’Or oder auch Eddie Butler kein genügender Beweis, dass wir mit Friedensliedern keinen Blumentopf gewinnen können? Ich will kein Friedenslied und kein politisches Lied für Israel. Zum einen sind Protestsongs bei uns immer weniger beliebt, deren goldene Aera war etwa von 2002 – 2005. Zudem würde ein politisches Lied uns nicht beliebter machen.

Wird in euren Medien wirklich ein Friedenslied in Erwägung gezogen oder ist es eher eine Mutmaßung, eine Begriffsverwechslung o. ä.? Ich stolpere nämlich über die Begriffe Friedenslied und Friedenshymne.

Talia: Die IBA hat darauf bestanden, dass unser Beitrag eine Friedensbotschaft vermitteln wird. Es wird aber aller Voraussicht nach keine Hymne sein. In einem TV-Bericht über unsere diesjährige ESC-Teilnahme waren ein paar Schnipsel eines dreisprachigen Duetts zu hören, bei dem es sich vermutlich um unseren ESC-Beitrag handelt, und es hört sich gar nicht nach einer typischen "Friedensschnulze" an! Es geht eher in die Richtung von "Century of love" (Moldau 2008).

Woher bekommst du deine Infos zum Contest? Und finden deine Freunde deine Liebe zum Contest eher komisch oder bist du für sie eine Fachfrau?

Talia: Meine Infos zu Israel erhalte ich aus israelischen Medien oder aus dem israelischen Forum. Manchmal sind es auch nur Gerüchte. Wohl aus zuverlässigen Quellen, aber trotzdem unzuverlässig, da die IBA ihre Meinung gerne und oft ändert. Unter Fans gelte ich als Expertin und man schätzt meine Meinung, weil ich gerne sage, was ich denke. In ausländischen Foren bin ich natürlich etwas diplomatischer. Als ich z. B. 2007 meine negative Meinung zum österreichischen Beitrag äußerte, bekam ich spontan Hetzmails, die mich verunsichert haben. Aber es gibt erfreulicherweise immer auch gegenteilige Erfahrungen.

Expertin bist du wohl auch wegen deiner Mehrsprachigkeit. Solche Contest-Fans sind im Vorteil. Wie viele Sprachen sprichst du? Und wo hast du dein perfektes Deutsch gelernt?

Talia: Neben meiner Muttersprache Hebräisch spreche ich noch Deutsch, Englisch und ein bisschen Arabisch. Jetzt versuche ich, selbstständig Türkisch zu lernen. Mein Deutsch habe ich von meinen Großeltern gelernt, die mit ihren Nachbarn immer Deutsch sprachen. Meine Großmutter stammte zwar aus Galizien (heute Ukraine), sprach aber perfektes Deutsch, weil die Region bis 1918 zu Österreich-Ungan gehört hatte.

Was waren für dich der beste und der schlechteste israelische Beitrag?

Talia: Halleluja finde ich für die 70er Jahr einfach super. Dana International, Shiri Maymon und Boaz Mauda waren die besten Televoting-Ergebnisse. Dana nicht wegen ihres Gesangs, sondern für die sehr gelungene, mitreißende Dancenummer. Shiri Maymon hat eine schöne zeitlose Ballade mit viel Power und Gefühl vorgetragen und Boaz hat bei mir mit seiner himmlischen Stimme einfach Gänsehaut ausgelöst. Der schlechteste israelische Beitrag war „Ein davar“. Es war fade, altmodisch und einfallslos arrangiert, dazu war die Performance grottenschlecht und alle Chorsänger, bis auf die langhaarige Dame, äußerst hässlich. Wenn wir das 1985 geschickt hätten… aber 2001? Ehrlich, als ich die Performance sah, wünschte ich, die Erde würde mich verschlingen!

Was wäre deiner Meinung nach ein perfekter israelischer Beitrag?

Talia: Ich wünsche mir moderne poppige Acts, die bei uns im Gegensatz zu vielen anderen Ländern in Landessprache gesungen würden, oder ausgefallene ethnisch angehauchte Titel, die in Europa exotisch rüberkommen und positiv aus dem Rahmen fallen. Mein Lieblingskandidat wäre das Idan Raichel Projekt. Leider hat Idan Raichel die Anfrage der IBA abgelehnt.



Frage: Das ist wirklich bedauerlich, aber ich könnte mir vorstellen, dass Noa und Mira Awad uns auch eine Art Weltmusik präsentieren werden. Welchen Stellenwert hat der ESC eigentlich in Israel?

Talia: Einerseits wird er als eine altbackene Veranstaltung empfunden, die außer Schwulen und alten Frauen niemanden interessiert, andererseits wird er auch wieder zu ernst genommen, als würde es sich dabei um eine nationale Mission handeln. Wegen seines schlechten Rufes wollen nur wenige populäre Musiker teilnehmen. Die IBA, die Sänger und Songwriter und vor allem das Volk glauben immer, beim ESC sollte man etwas ESC-Typisches singen, mit netter Botschaft, hymnenhaften Melodien und möglichst mehrsprachigem Text. Wenn ausnahmsweise ein normales Lied die Vorentscheidung gewinnt, ist es eher Zufall. Shiri Maymon (2005) hat gewonnen, weil sie die beliebteste Sängerin war. Bei Boaz Mauda (2008) haben die Verantwortlichen alles drangesetzt, damit Dana International als Autorin und Komponistin gewinnt.

Frage: Das israelische Bekenntnis zur transsexuellen Dana wirkt auf mich sympathisch und zugleich schwer nachvollziehbar. Ich habe gehört, dass z. B. eine Grundausbildung bei der Armee Voraussetzung für eine Teilnahme ist. Wie ist das eigentlich genau? War Dana bei der Armee? Warst du bei der Armee?

Talia: Grundsätzlich ist eine Grundausbildung bei der Armee Voraussetzung für die Teilnahme, aber es gibt auch berühmte Ausnahmen von der Regel, z. B. Dana International war nicht in der Armee, sie nahm gerade weibliche Hormone und obwohl sie sich noch nicht umoperieren ließ, wirkte sie schon eher weiblich. Aus diesem Grunde wurde sie aus der Armee entlassen. Auch 2002 wurde Sarit Hadad nominiert, obwohl sie sich vor dem Armeedienst gedrückt hatte.

Ich war zwei Jahre bei der Armee und habe dort als Lehrerin gedient. Im Großen und Ganzen hat mir dieser Job viel Spaß gemacht. Was mir weniger gefallen hat, waren die Wachtschichten, die ich mindestens einmal in der Woche und alle 3 – 4 Wochenenden hatte. Ich bin der Meinung, dass jeder Israeli in der Armee dienen sollte, nicht nur, weil Israel aus allen Ecken bedroht wird und sich wehren muss, sondern weil es in Israel die Wehrpflicht gibt. Ich finde es trotzdem doof, dass Sänger, die nicht in der Armee gedient haben, Israel beim ESC nicht vertreten dürfen, denn was hat dies überhaupt mit Musik zu tun?

Ich kann diese Regelung nachvollziehen. Ich glaube auch, dass Israel deswegen selten bis nie mit blödsinnigen Stücken antritt.

Talia: Einige Comedy-Nummer gab es, z. B. Shir habatlanim. Das Lied hat wohl gewonnen, weil die Vorentscheidung am 01. April 1987 stattfand, und die Zuschauer, die damals zwecks Abstimmung angerufen wurden (Televoting gab es 1987 noch nicht) glaubten, es handele sich dabei um einen Aprilscherz. 2000 hatten wir Ping-Pong mit einem polarisierenden Lied, von deren Performance sich die IBA bis heute nicht erholt hat. 2007 gab es Teapacks, die sehr originell und progressiv waren, aber dann leider an einer schlecht vermittelten Performance (an der sie nur zum Teil schuld waren) scheiterten.

Stichwörter Schwule und alte Frauen… Könnte für die deutschen Fanclubs zutreffen, in denen vor allem junge Frauen leider unterrepräsentiert sind. Ist das im israelischen Fanclub auch so? Dann wärst du ja eine Ausnahme.

Talia: In Israel gibt es prozentmäßig mehr weibliche ESC-Fans als in Deutschland. Aber auch was das Alter und die sexuelle Orientierung angeht, ist die israelische Fangemeinde heterogener als in Deutschland.

Wie viel Chancen räumst du dem israelischen Beitrag ein? Vorweg: Ich bin zu 85% überzeugt, dass Israels Beitrag wieder eine musikalische Bereicherung sein wird.

Talia: Am Anfang war ich sehr pessimistisch und habe mir sogar vorgenommen, mich dieses Jahr von unserem Beitrag zu distanzieren, aber anhand des kleinen, vielversprechenden Vorgeschmacks im Fernsehen sowie angesichts der Tatsache, dass der Krieg schon vorbei ist und bis Mai nicht mehr im Mittelpunkt des Weltinteresses steht, bin ich nun etwas optimistischer! Dass die Jurys dieses Jahr mit abstimmen, macht unsere Lage noch günstiger! Immerhin hat Israel dieses Jahr zwei erstklasige Künstlerinnen am Start und nicht umsonst ist Noa Israels international erfolgreichste Sängerin.


1. Foto: Talia am Klavier
Video: The Idan Raichel Project mit "Mikol Haahavot"
2. Foto: Haifa

Samstag, 3. Januar 2009

„Also wissen Se, nee!"

Der Einfluss der Politik auf den Eurovision Song Contest wird von den meisten nur bei der Punktevergabe wahrgenommen. Ich meine, dass auch die nationale Auswahl deutscher Beiträge Aufschluss gibt über den jeweiligen politischen Trend.

Die Bemühungen der 50er und 60er Jahre
sind kaum nennenswert. Erst Mitte der 60er, also zwischen dem Rücktritt Adenauers und Brandts Wahl änderte sich das politische Klima grundlegend, erst nun gelang es dem deutschen Schlager Anschluss an die internationale Entwicklung zu finden. Das gemeinsame Erfolgsrezept sozialliberaler Politik und deutschem Schlager war „die erfolgreiche Integration des bis dahin Ausgegrenzten“, in der Musik waren das z. B. Gitarren, Bass, Rock- und Soulrhythmen. Hießen unsere heimlichen Stars ohnehin Mick Jagger und Janis Joplin, kam jetzt eine Deutsche hinzu, nämlich Katja Ebstein. 1970 erreichte sie beim Song Contest mit Platz 3 das bis dahin beste deutsche Ergebnis. Als sie ein Jahr später mit einem Umwelt-Schlager noch mal dritte wurde, war der Höhepunkt der Politisierung des Schlagers jedoch schon erreicht. Dass 1982 Nicole mit einer Friedensschnulze gewann, ist

Eine andere Geschichte.
Für mich war das „bisschen Frieden“ Ausdruck der von Kohl angedrohten geistig-moralischen Wende. Es beschwor eine hysterische Weltuntergangsstimmung, besang die Resignation, die Heimat- und Naturverbundenheit und das kleine persönliche Glück des volkstümlichen Schlagers. Ach, und es hätte so schön werden können, wenn z. B. bereits 1976 Ina Deter als deutsche Teilnehmerin zum Song Contest geschickt worden wäre. Als spätere Vertreterin der Neuen Deutschen Welle stand sie für einen innovativen, selbstbewussten und humorvollen Schlager. Die NDW durfte uns unter Kohl natürlich nicht beim ESC vertreten. Erst als sich der progressivere Teil der NDW vom Schlager verabschiedete, durfte der verbliebene konservative Teil zum Ende der 80er Jahre das besinnungslose, entideologisierte Spaßjahrzehnt einläuten, dass in Guildo Horn, Stefan Raab und einem Spaßkanzler Schröder seine schrägen Höhepunkte feierte. Aber jetzt habe ich vorgegriffen.

Piep, piep, piep
1995 entfiel die Vorentscheidung, der MDR schickte ein Retortenduo ins Rennen und irgendwie meine ich mich zu erinnern, dass dieser Beitrag von ‚Kohl als Jury’ favorisiert wurde. Ergebnis war der legendäre 1 Punkt aus Malta. 1996 ließ man uns gar nicht erst antreten. 1997 zeigten wir uns mit einem steifen, konservativ-barocken Beitrag unbelehrbar deutsch. Und dann kam 1998. Der Regierungswechsel lag in der Luft, die Telekom mischte das Ganze mit Telefonvoting auf zugunsten von Raab und Horn. Auch nun wurde wieder die „erfolgreiche Integration des bis dahin Ausgegrenzten“ praktiziert, man entdeckte nämlich die Homosexuellen als Zielgruppe. Diese feierten für die nächsten 2 Jahre mit den Siegen einer israelischen Transsexuellen und einem künstlich aufgemachten, schwedischen Wesen ihre Höhepunkte.

Also wissen Se, nee!
Bis 2005 schlugen wir uns dann wacker durch, mit dem Regierungswechsel war der Spaß vorbei. Gegen die wachsende Dominanz osteuropäischer Länder setzte man Merkels Busenfreundschaft zu Bush entgegen. Erzkonservative amerikanische Genres wie Country, Swing und Musical (sorry, hier fehlten 0,5%), die sonst kein Deutscher irgendwo zu hören bekam, repräsentierten uns beim Contest. So viel Unglaubwürdigkeit und Anbiederei wurde dementsprechend vom europäischen Publikum abgestraft.

Da sich Geschichte gerne wiederholt, darf man sich jetzt fragen wie es weiter geht:

a) einen Regierungs- und damit einhergehend einen Konzeptwechsel beim NDR wie 1998 wird wohl niemand ernsthaft wittern.

b) 1 Punkt aus Malta wegen Aufgewärmtes, wegen Mut- und Ideenlosigkeit? (Fortenbacher)

c) Oder wird endlich mal wieder etwas „bislang Ausgegrenztes erfolgreich integriert“? (Bushido)

d) Jetzt kommt der Gau: Verdrängung eigener Unzulänglichkeit und Spielverderberei beim Wettbewerb (Big 4), metaphernreiche Ressentiments gegenüber Osteuropa, gedämpfte Schadenfreude über die erzwungene autoritäre Jury, Abschaffung der Zuschauerpartizipation und vollständige Kontrolle über die deutsche Vorentscheidung… passt bestens zu einem Kanzler Roland Koch. Da empfehle ich Ralph Siegel, der angesichts einer Weltwirtschaftskrise die hysterische Weltuntergangsstimmung schürt, mit Resignation und Heimatverbundenheit schmeichelt und uns in die Grenzen unseres kleinen persönlichen Glückes zurückverweist.


(Die Überschrift ist Titel eines Liedes von Bully Buhlan, komponiert von Günter Neumann 1949)