Dienstag, 19. Februar 2013

Plagiatsvorwürfe gegen Cascada eine Farce

Die Plagiatsvorwürfe der deutschen Boulevardpresse gegen Cascada erzeugen bei eingefleischten ESC-Fans bestenfalls gelangweiltes Gähnen. Ob Plagiat oder nicht, ist völlig egal. Plagiate sind beim ESC nichts Besonderes, manchmal sind sie sogar unterhaltsam und subversiv.

Wie ich im Text zum albanischen Beitrag 2013 schon schrieb, wurden auch in Albanien nach der Abstimmung Plagiatsvorwürfe laut. Die Albaner singen nun ein serbisches Lied, das angeblich albanischen Ursprungs ist... und der serbische Komponist stört sich offensichtlich nicht daran.

Einen ähnlichen Fall gab es 2009, als die bosnische Band Regina mit einer wunderschönen Performance in Moskau das Lied „Bistra Voda“ präsentierte. Dieses Lied muss man mit dem unbedingt sehens- und hörenswerten Auftritt von Kiki Lesendric i Piloti und ihrem Stück "Oltar" vergleichen, und schon stellt sich Gänsehautfeeling ein.



Man kann man sich vorstellen, wie die Serben beim bosnischen Beitrag feierlich mit gesummt haben. In beiden Fällen bringen die nachgeahmten Musikstücke für mich eher eine Wertschätzung zum Ausdruck.

Übrigens hatte der deutsche Beitrag von 2012 „Standing Still“ von Roman Lob den aserbaidschanischen Vorjahressieger „Running Scared“ zur Vorlage. Dass sich der Komponist Jamie Cullum ausgerechnet beim ärgsten Feind der Deutschen, den Aserbaidschanern, Inspiration gesucht hatte, war amüsant und entlarvend. Frage ist hier nur für wen? Dieser peinliche Kunstgriff wurde in der deutschen Presse tot geschwiegen.

Zum Fall Cascada: Das Musikstück von Cascada war seit Wochen bekannt. Warum hat sich nicht schon VOR der Abstimmung jemand mit Plagiatsvorwürfen zu Wort gemeldet? Solch ein Vorwurf NACH der Siegerehrung sieht für mich eher nach gedeckter PR aus. Sogar der Independent greift das Thema auf und beschreibt, was hier Gegenstand der Untersuchung ist: "The chorus uses the same accentuation, the ending peaks with the same combinations. The singers even use the same breathing methods.”

Du liebe Güte: Dann sollte man lieber mal accentuation, condition und breathing methods zwischen Proben und Finalauftritt bei Lena Meyer-Landrut untersuchen und die Toningenieure vom NDR erklären lassen, wie man über Nacht so professionell werden kann.

Mich stört vielmehr die Einfallslosigkeit des Stückes "Glorious" und die Farce, mit der uns dieses Lied als erwünscht und erfolgreich angedreht werden soll. Etwas mehr Innovation in Musik und Risikofreude im Wettbewerb kann man schon erwarten, wenn der NDR einem amerikanischen Major Label auf unsere Kosten eine Werbeplattform bietet. Cascada und Universal wirken wie Trittbrettfahrer, die beim Erfolg vom Vorjahrestrend abzugreifen versuchen.


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Freitag, 15. Februar 2013

Wenn wir die Wahl gehabt hätten, hätte La BrassBanda gewonnen

Bei all diesen Abstimmungsergebnissen halte ich es grundsätzlich wie Stalin: Es kommt nicht darauf an, wer was gewählt hat, sondern wer am Schluss die Stimmen auszählt. 

Es ist für mich natürlich nicht überprüfbar, wie viele Stimmen die Musiker im Einzelnen bekommen haben. Genauso wenig ist überprüfbar, wie oft jemand für einen Favoriten per Internet oder Telefon gevotet hat. Muss auch alles nicht, denn herauszufinden, dass im glamourösen Show-Business die Ehrlichkeit nicht die erste Tugend ist, wäre keine Sensation. Interessanter finde ich zu beobachten, mit welchen Nasen und auf welche Weise man uns genau vom Gegenteil überzeugen will. 

Diesmal haben sich die deutschen Organisatoren mit der Dramaturgie der Abstimmungsprozedur ein Eigentor geschossen. Sie zelebrierten eine Internet- und Telefonabstimmung, und machten danach das Publikums-Ergebnis vor den Augen des Publikums von einer 5-köpfigen Jury hinfällig. Genauer: Die hervorragende Live-Band La BrassBanda, die überhaupt nicht der Zielgruppe Eurovision und ESC-Fans entsprechen, gewann das Publikumsvoting. Daraufhin schreitete die "autoritäre Experten-Jury“ ein und kippte das Ergebnis zugunsten der ESC-Fans, so dass Cascada gewann. Very exciting! 

Hätte man nicht genauso gut Cascada nominieren und sich die Vorentscheidung sparen können? Nein. Denn das Spielchen, in der die "autoritäre Experten-Jury" für die Fans eine Erlöserfunktion gegenüber zu viel Anarchie, Selbst- und Mitbestimmung, gegenüber unliebsame Musiker oder Länder einnimmt, ist seit einigen Jahren Selbstzweck. Und es ist unschwer zu erkennen, welche psychische Disposition sich davon besonders umschmeichelt und angezogen fühlt: Menschen mit einem Hang zum Autoritären und zum Anti-Demokratischen. 

In meinem Text „ESC - Ein Kampf der Kulturen?“ habe ich darauf hingewiesen, dass auch das Major Label Universal Music von dieser Spielart profitiert: 2/3 stimmten für La BrassBanda (die bei Sony unter Vertrag sind). Und dann kippt der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der mit Universal Music kooperiert mit seinen bei Universal Music in Vertrag stehenden „Juroren“ das Ergebnis zugunsten des Beitrags von Cascada, die lt. Wiki auch bei Universal Music unter Vertrag ist... 

Dumm nur, dass auf diese Weise die ganzen übrigen 11 Acts, die vor Cascada (mit ihrer prominenten letzten Startnummer 12) angetreten waren, nur noch wie Füllstoff und La BrassBanda zwar wie eine eigensinnige und selbstbestimmte, aber damit natürlich erfolglose Alibi-Konkurrenz wirken. Das war dann - bei aller Achtung vor der bunten Show - ein weiteres Jahr wie 12 mal Lena. 

Und tatsächlich, auch Lena Meyer-Landrut wurde pflichtgemäß reaktiviert. Sie schien wieder allen Ernstes zu versuchen, die Leistung für ihren überzogenen Monumentalerfolg nachreichen zu wollen. Das erzeugt regelmäßig nur eine verstörende Wirkung. 

Leicht verstört, mit zuckenden Augen und zitternden Händen, wirkte auch Moderatorin Anke Engelke, die sonderbarerweise immer wieder auf ihren Auftritt bei der Punktevergabe in Baku anspielen wollte – oder musste. „Es ist schön, wenn man die Wahl hat“, hat sie damals gesagt und wollte sich vor der Weltöffentlichkeit mal in die Politik einmischen und den Mangel an Demokratie und Pressefreiheit im entfernten Aserbaidschan kritisieren. Diesen selbstgerechten Vorwurf setze man mal mit der oben beschriebenen Abstimmingsprozedur in Beziehung! Und: Wer, außer amerikanisch-israelische Kriegsstrategen vielleicht, will die Aserbaidschan-Hetze andauernd hören? Ein Blick in die Neue Züricher Zeitung vom 12.02.13 beweist sogar, dass diese negative Haltung weder für Europa noch für die deutsche Außenpolitik derzeit repräsentativ ist.


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Montag, 11. Februar 2013

Unser Song für Malmö

Dieses Jahr keine Kooperation zwischen Öffentlich-Rechtlichem und Privatem Rundfunk mit Wirtschaft, Politik, Kirche und Presse. Damit auch kein Pop-Titan Stefan Raab, der sich mit Erfolgsversprechungen schon Monate im Voraus weit aus dem Fenster lehnt. Es gibt bislang nicht mal einen heimlichen Favoriten oder eine politische Botschaft, die vom NDR an die straff organisierten Vereine zwecks „Meinungsbildung“ durch gereicht werden. Es gibt auch keine weitere Castingshow, nein, diesmal organisiert der NDR eine ganz normale Vorentscheidung mit 12 Acts und lauter praktizierenden Musikern. Das Finale wird am 14.02.2013 um 20:15 Uhr in der ARD ausgestrahlt.

Dieses Jahr wird auf unterhaltsame Weise ein breit gefächertes Angebot präsentiert, bei dem für jeden etwas dabei sein dürfte. Anhand kurzer Video-Postkarten kann man die Musiker kennenlernen, ihre Musik kann man sich in dieser Zusammenstellung aller Songs anhören. Und neu: Internetuser dürfen für die Songs abstimmen und damit zu einem Drittel das Ergebnis mitbestimmen. Die restlichen 2/3 werden am Vorentscheidungsfinale am 14.02.2013 via 1/3 Jury und 1/3 Telefonabstimmung ermittelt.

Mein subjektiver Eindruck zu den Musikstücken ist weniger positiv. Die Musiker sind sehr gut, aber mit ihren Liedern bleiben ausnahmslos alle unter ihren Möglichkeiten. Ich frage mich, ob die Musikindustrie im Auftrag des NDR die Musiker oder vielmehr die Musikstücke für die Musiker ausgesucht hat. Die Songs hören sich an, als wären sie als B-Seite einer Single konzipiert, mit denen man nicht gewinnen möchte. Wäre beim ESC keine unübliche Strategie.

Zu meiner subjektiven Wahrnehmung gebe ich ein paar Beispiele: Die prominentesten Teilnehmer sind natürlich die Söhne Mannheims, die bei der Vorentscheidung ohne Zugpferd Xavier Naidoo antreten. Da in Malmö nur 6 Personen auf der Bühne erlaubt sind, werden sie auf noch mehr Bandmitglieder verzichten müssen. Ob der Rest repräsentativ ist...?

Cascada gibt mit ihrem Disco- und Schweden-Pop alles und trifft damit genau den Geschmack des typischen ESC-Fans. Dumm nur, dass dieses Lied dem Siegerlied vom Vorjahr verdammt ähnelt.

Unter seinen Möglichkeiten bleibt Ben Ivory, der mir durch seinen Auftritt im ARD-Morgenmagazin mit einer guten Präsentation und Acoustic Session positiv auffiel.

Auch Betty Dittrich, die mit Retro-Schlager der 60er Jahre glänzt, bleibt bei aller bestechenden Niedlichkeit und guter Live-Darbietung doch etwas eintönig und fade.

Unter ihren Möglichkeiten bleiben Nica und Joe, ihre starken Stimmen können über ein altbackenes Musikstück nicht hinwegtäuschen.

Beim Stück "Little Sister" von der Band Mobilee stellten Fans einen Regelbruch fest, dieses Lied wurde nämlich bereits vor der Deadline 01.09.2012 veröffentlicht (und nicht nur dieses Stück). Würden sich das Weissrussland oder Aserbaidschan erlauben, wäre das für die Männerbünde der Eurovision Anlass zum militärischen Einschreiten. Die angeblich ahnungslosen Mitglieder der Band Mobilee verließen sich auf den ESC-Verantwortlichen Thomas Schreiber, der bei der EBU wie bei den Fans onkelhaft rechtfertigende Worte für sie fand. (Im Regelfall treten bei solchen Vorkommnissen die Musiker von sich aus zurück, so geschehen dieses Jahr in Ungarn.)

Auch der erste Beitrag der Priester mit Sopranistin Mojca Erdmann war regelwidrig, da er lt. BILD bereits 1100 Jahre vor der Deadline gesungen wurde. Sie haben daraufhin ein neues Stück erschaffen. Und nun präsentieren sie sich mit gregorianisch angehauchter Kirchenmusik. Das hat es bislang weder in einer Vorentscheidung noch beim ESC gegeben. Zu fragen ist vielmehr, ob es eine solche Zurschaustellung von Klerus und Christentum beim ESC überhaupt geben sollte und ob man wohl Suren rappende Boygroups islamisch geprägter Länder genauso selbstverständlich hinnehmen wird.

Unter ihren Möglichkeiten bleiben auch ein wenig La BrassBanda. Wenn sie sonst bei Live-Konzerten Menschenmassen zum Toben bringen, klang ihr ESC-Beitrag auffallend schleppend. Interessant allerdings, dass sie den Contest des Contestes vor dem Contest veranstalteten, indem sie ihr musikalisches Material einem Remix-Contest zur Verfügung stellten. Das Ergebnis als ein Mix aus allem ist etwas flotter, aber scheint selbst von eingefleischten La BrassBanda-Fans als ein Kompromiss gehört zu werden.


Freundlicherweise haben aber La BrassBanda eine Seite ins Netz gestellt, die das Internetvoting übersichtlich und einfach machen. Davon kann jetzt bis zum Finale am 14.02.2013 gerne Gebrauch gemacht werden.


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