Freitag, 23. März 2012

Aserbaidschan - Das Wesentliche am Eurovision Song Contest ist die Musik

Am liebsten beschäftige ich mich beim ESC mit den unscheinbaren Interpreten, meist musikalische Handwerker, die im künstlichen Glamour der industriellen Konfektionsware leicht übersehen werden. Zu den Ländern mit Hochglanzprodukten gehört sicherlich auch Aserbaidschan, dass zwar erst seit 2008 dabei ist, aber in dieser kurzen Zeit alles erreicht hat:

2008 Platz 8,
2009 Platz 3,
2010 Platz 5,
2011 Platz 1.

Dennoch möchte ich Aserbaidschans Vorentscheidungsmarathon "Milli Secim Turu" nicht unerwähnt lassen, denn hier dominiert nicht der blendende Glanz und der Konsumterror, sondern eine für die Kandidaten sehr arbeitsintensive Prozedur.

Das Verfahren war wie folgt: Von ca. 150 Bewerbern wurden 71 Teilnehmer intern ausgewählt, diese wurden in 8 Gruppen eingeteilt. Ab dem 28.11.2011 mussten Teilnehmer jeder Gruppe innerhalb einer Woche jeden Abend ein Pflichtprogramm durchlaufen, und zwar Montag Evergreen, Dienstag aserbaidschanisches Lied, Mittwoch Eurovisions-Hit, Donnerstag Lied mit Schwerpunkt Performance, Freitag freie Liedwahl. Via SMS-Voting und Jury wurde der wöchentliche Sieger ermittelt.

Die Auftritte kann man sich einzeln auf youtube anschauen. Es war ein kleines Erlebnis, sich durch die 355 Clips der Vorrunde durchzuklicken, von unmöglich bis sagenhaft war alles dabei. Allerdings hatte ich nie das Gefühl, dass hier Interpreten vorgeführt wurden wie beispielsweise bei DSDS. Im Gegenteil: Die kleine Bühne, das zurückhaltende Publikum wie letztenendes auch die unspektakulären wöchentlichen Entscheidungen ließen den Wettbewerbsmarathon eher wie eine praktisch-methodische Prüfung an einer Musikschule erscheinen.

Kooperativ und unterhaltsam fand ich vor allem die Kategorie ESC-Lied. Zum einen werben sie mit diesen Liedern für den ESC im Allgemeinen, rückwirkend auch speziell für seine Kandidaten und ihre Lieder. Darüberhinaus lassen die Sänger durch ihre jeweilige Auswahl an ESC-Liedern ihre Vorlieben erkennen und sich somit für Fans besser einordnen. Aber auch die Kategorie aserbaidschanisches Lied ist für Musikinteressierte von unschätzbarem Wert. Aserbaidschan hat natürlich eine andere Musik- und Gesangstradition als wir Westeuropäer, somit klingen viele dieser Lieder für uns gewöhnungsbedürftig. Ich war erstaunt, dass die meisten Teilnehmer, obwohl sie offensichtlich anglo-amerikanische Popmusik machen möchten, den aserbaidschanischen Gesangsstil kennen und viele ihn sogar sehr gut beherrschen.

Ein sympathisches Highlight war für mich z. B. die Einbindung der Kollegen des aserbaidschanischen Fanclubs OGAE. Sie durften mit dem Song "Angel In Disguise" einen Pausenact bestreiten. Der Gesang klang zwar etwas schief, was aber mit einer netten Performance wieder ausgeglichen wurde. (OGAE = Organisation Générale des Amateurs de l'Eurovision)

Mein persönliches Highlight des diesjährigen Milli Secim Turu war die Sängerin Ülker Quliyeva, dies vor allem in der Kategorie aserbaidschanisches Lied mit dem Beitrag „Kor Erebin Mahnisi" (The Blind Arab). Sie sang wie eine Göttin, sah aus wie eine Kriegerin und hielt am Schluss ein gefährliches Messer in die Kamera. Das ist doch mal was!



Von den 8 Wochensiegern konnten sich in einer weiteren Wochen-Show mit gleichen Anforderungen schließlich 5 Kandidaten für das Finale qualifizieren. Das Finale fand vor mehreren tausend Zuschauern im Heydar Aliyev Palace in Baku am 12.02.2012 statt und konnte auch live im Internet verfolgt werden. Beim Finale stimmte nur eine Jury über den Kandidaten ab, diese bestand aus dem Direktor des öffentlich-rechtlichen Senders Ictimai, mehreren renommierten aserbaidschanischen Musikern und Künstlern, einem Musikprofessor sowie einem Mitarbeiter des Ministeriums für Kultur und Tourismus. An der Zusammensetzung erkennt man, dass man der Musik und dem ESC in Aserbaidschan eine hohe Wertschätzung entgegen bringt.

Die Siegerin dieser Wahnsinnsprozedur heisst 2012 Sabina Babayeva, die dieses Jahr zu den erfahreneren Sängerinnen gehörte. Ihre bevorzugten musikalischen Genres sind neben Pop vor allem Soul und Jazz. Bühnenerfahrung erwarb sie sich in sieben Jahren Zusammenarbeit mit der Jazz-Band Aypara. Weil das aber nicht reicht, wird sie - wie ihre Vorgänger auch - für ihren ESC-Auftritt extra noch mal von ukrainischen Experten gecoacht.

Nach all den Wochen war ich auf Sabinas Beitrag gespannt wie ein Flitzbogen. Eine öffentliche Ausschreibung gab es nicht, Aserbaidschan setzte auf die seit Jahren bewährte erfolgreiche Zusammenarbeit mit den Schweden Anders Bagge, Sandra Bjurman, Stefan Örn und Johan Kronlund. Sie schrieben, komponierten und produzierten ein Lied, das als eine Soul-Ballade perfekt auf Sabina Babayeva's markante Stimme zugeschnitten ist. Im Gegensatz zu den Vorjahren hat man diesmal auch aserbaidschanische Musiker mit eingebunden, und zwar Ogtay Sharifov, Sarkhan Vahabov, Shirzad Fataliyev, Yashar Bakhish und Aserbaidschans bekanntesten Mugham-Sänger Alim Gasimov als Backgroundsänger. Sie geben dem Stück einen Hauch orientalischen Flair und beweisen, dass zumindest in der Musik das lebendige Zusammenspiel von Orient und Okzident verblüffend gut harmoniert.

Sabina Babayeva "When The Music Dies"



.....

Freitag, 16. März 2012

Der Helge Schneider des Balkans - Rambo Amadeus

Neben Engelbert und den russischen Babuschkas gehört auch Rambo Amadeus aus Montenegro dieses Jahr zu den nicht mehr ganz jungen, aber erfahrenen Musikern beim Eurovision Song Contest. Genau wie sein serbischer Kollege Zeljko Joksimovic hat auch er bei seiner Auftragsarbeit für den ESC die Hörgewohnheiten seiner Fans gut eingeschätzt. Nur werden Rambos Musikfans beim ESC rar sein.

Dem Genre nach ist Rambo dem Electro Jazz und dem Free Jazz zuzuordnen, und somit wird er die kommerziellen Hörgewohnheiten beim ESC gehörig auf die Probe stellen. Wenn man allerdings den Titel "Euro Neuro" hört und den dazugehörigen Musikclip sieht, merkt man schnell, dass uns Rambo mit seinem ESC-Beitrag schmunzelnd abseits aller ausgetretenen Pfade führen möchte:





Nachdem ich regelmäßig auf der Homepage von Rambo Amadeus die News zu seinem Eurovisionsbeitrag verfolgt habe, war ich auf eine trashige Witznummer gefasst. Beispiel: "I am making Euro Hit. [...] Before of all , I am going to break down the language barrier, because language barrier is strongest barrier among the nations. I am going to improve my English, Dutch, France, Spanish, Italian, Turkish, Russian and other languages in next few days , in order to understand needs of Euro - audience." Here is something for the bloggers, the first part of the Euro hit , song for the Eurovision in the progress".

Stattdessen liefert er uns nun ein witziges Crossover von Electro, Jazz, Funk, Folk und Hip Hop. Mit rhythmischer Intensität durch jazzaffine Basslinien, elektronischen Sounds und etwas Atonalität in den Strophen sowie einem Refrain mit Hintergrundklangteppich aus Balkanstreichern und Chor liefert Rambo ein für ESC-Verhältnisse komplexes 3-Minuten-Werk ab.

Antonije Pusic, so Rambo mit bürgerlichem Namen, ist neben Musiker auch studierter Mathematiker, Naturwissenschaftler und Profi-Segler. Auf seiner verspielten Homepage ist zudem die Ökologie ein zentrales Thema.

Seit 1988 veröffentlichte er
10 Studioalben und 3 Live-Alben (s. Link Music). Am 12.12.2011 wurde er von RTCG als Vertreter Montenegros für den Eurovision Song Contest nominiert. Hervorgehoben wurde dabei, dass er als einer der populärsten Musiker des ehemaligen Jugoslawiens und zugleich Botschafter von UNICEF als repräsentativer Vertreter das Land Montenegro promoten werde.

Und so wird Rambo beim 1. Semifinale am 22.05.2012 in Baku
"the old Lady Europe" und dem ESC entgegentreten mit einer herausfordernden Message: "Try not to be hermetic hahaha..."


...

Sonntag, 11. März 2012

Serbisch oder englisch - das ist hier die Frage

Für den Eurovision Song Contest 2012 hat Serbien bereits am 18.11.2011 einen ihrer besten Unterhaltungsmusiker, den ESC-Veteran Zeljko Joksimovic beauftragt, Serbien mit einem selbst geschriebenen Lied zu vertreten. Viele Infos bezüglich seines Musikstückes ließ Zeljko seitdem nicht durchsickern, und so warteten wir Fans am 10.03.2012 gespannt wie die Flitzbögen, als er in seiner Show seinen Beitrag erstmals präsentierte.

Musik ist Geschmacksache, und über Geschmack lässt sich bekanntlich schlecht streiten. Nur Joksimovics ESC-Beiträge (s. u.) wurden zu ESC-Klassiker nicht zuletzt deswegen, weil er als einer der wenigen Musiker dem anglo-amerikanischen Mainstream eine eigene, europäische Handschrift entgegensetzte. Insofern waren die Erwartungen an ihn sehr hoch. Ich wage zu behaupten, dass Zeljko Joksimovic mit seinem Stück "Nije ljubav stvar" die Hörerwartungen nicht nur richtig eingeschätzt, sondern auch 100%ig erfüllt hat.



Im Anschluss an die Liedpräsentation kam im Internet sofort die Frage auf, in welcher Sprache dieses Lied vorgetragen werden würde. Für Hardcore-Fans der europäischen Musik und des ESC wäre es ein Unding, wenn ausgerechnet Zeljko Joksimovic wie jedes daher gelaufene Castingsternchen in englisch singen würde.

Obwohl ich sonst zur Vertreterin dieser Fraktion gehöre, fände ich die englische Version "Synonym" gar nicht so übel. Der Text gefällt mir und ist alles andere als anbiedernd. Zudem würde die englische Sprache das Folkloristische dieses Stückes etwas glätten und es wie ein internationales Chanson wirken lassen.

Andrerseits ist mir klar, dass in Zeiten des Formatradios und der Sprachverkümmerung die Sprache mehr und mehr zum musikalischen Parameter, zum Sound avanciert, da stört es dann wenig, wenn man die 3-Minuten-Stücke nicht versteht, den Text kann man ja bei Bedarf nachlesen.

Und so darf nun über eine englische oder serbische Version beim Eurovision Song Contest in Baku abgestimmt werden.

Biographie:
Bereits seit seinem 5. Lebensjahr stand für Zeljko fest, dass er Musiker werden wollte.



Mit 12 gewann er dann auch bei einem Wettbewerb in Paris den Preis des besten Akkordeonspielers Europas. Dem Musikstudium an der Belgrader Universität stand also nichts mehr im Wege, Zeljko spielt nun 11 Musikinstrumente, u. a. Akkordeon, Klavier, Gitarre, Drums.

Seinen ersten ESC-Erfolg hatte er 2004 mit Lane Moje, mit dem er für Serbien-Montenegro den 2. Platz belegte. 2006 komponierte er für Hari Mata Hari das Stück "Lejla", der damit für Bosnien-Herzegowina den 3. Platz belegte. Nachdem Serbien in 2007 den Eurovision Song Contest gewann und für 2008 nach Belgrad holte, moderierte Zeljko Joksimovic gemeinsam mit der Kollegin Jovana Jankovic die Show und schrieb zugleich den serbischen Beitrag "Oro" für die Sängerin Jelena Tomasevic, die den 6. Platz erreichte.



...


Donnerstag, 8. März 2012

Standing Ovation für Buranowskije Babuschki aus Russland

Zufällig und dennoch passend zum internationalen Weltfrauentag kürte Russland ein äußerst putziges Sextett zu den russischen Vertreterinnen des Eurovision Song Contest 2012 in Baku.

Es sind dies die Buranowskije Babuschki - auf deutsch die Omas von Buranowo - mit ihrem Lied "Party for Everybody".



Während sich Fans in Westeuropa ungläubig die Augen reiben, sind die Großmütterchen in Russland längst zur Kultband avanciert. Seit 2008 haben sie sich mit udmurtischer Folklore und verrückten Cover-Versionen von beispielsweise "Smoke on the Water" von Deep Purple während zahlreicher Live-Auftritte nach oben gearbeitet, woraus ihr Debüt-Album "Listen to Bashuka" hervorgegangen ist. Für Hardcore-ESC-Fans sind sie keine unbekannten, versuchen sie doch bereits seit 2010 am Contest teilzunehmen.

Zugegeben, es wird wohl nicht in erster Linie die Musik sein, mit der sie beim Publikum punkten. Sie singen etwas schief und verpassen zuweilen ihre Einsätze. Aber gerade das laienhafte Singen wirkt bei ihnen charmant und passt zum eigensinnigen Frauenbild, das sie verkörpern: Alte Frauen aus der russischen Taiga, Quereinsteigerinnen, an deren Traditionsbewusstsein - bei ihren Live-Darbietungen treten sie immer in echten Trachten aus dem 18. und 19. Jahrhundert an - jeder Modetrend abprellt. Das wirkt schon wieder angenehm subversiv, denn wie schon ihr Vorgänger Peter Nalitch (ESC 2010) gewinnen sie genau mit dem, was uns die Livestyle- und Musikindustrie als marktuntauglich einreden will.

Ihre Hinwendung zur Musik hat pragmatische Gründe, sie wollen Geld verdienen. Nicht, um ihren Reichtum zu vermehren, sondern sie sparen für den Bau einer Kirche in ihrem Heimatdorf. Selber leben sie weiter wie bisher in ihren einfachen Häuschen, bewirtschaften dort den eigenem Garten und Tiere. Ihr Lied handelt davon, wie sie in ihren Häusern auf den Besuch ihrer Kinder warten und alles dafür gemütlich herrichten, um dann mit den Kindern gemeinsam ein Fest zu feiern, daher der Aufruf "Come on and dance!"

Die Besetzung der Buranowskije Babuschki beim ESC besteht aus

Natalia Pubachova, 76, 4 Kinder, 3 Enkel, 6 Urenkel.
Ekaterina Shklyaeva, 74, 3 Kinder, 5 Enkel, 1 Urenkel.
Valentina Pyatchenko, 74, 2 Kinder, 2 Enkel.
Galina Koneva, 73, 3 Kinder, 8 Enkel, 2 Urenkel.
Granya Baysarova, 62, 6 Kinder, 8 Enkel, 1 Urenkel.
Olga Tuktaryova, 43.

Quelle:
esckaz.com



....