Montag, 17. August 2009

Vorentscheidung zukünftig aus dem Volksempfänger?

Nachdem die letzten ESC-News nur noch aus dem Hause Raab kamen, befürchtete ich, der NDR habe sich zurückgezogen. Jetzt haben sich Thomas Schreiber und als Nachschlag Blogger Jan Feddersen wieder zu Wort gemeldet. Und wie!

Zweifel wegen der Zusammenarbeit ARD / PRO7 werden ein weiteres Mal über Bord geworfen, Fehlverhalten im Nachhinein erklärt, die gesamte ARD (fast) und der Rest von PRO7 wird in die Pflicht genommen (bei so viel Zwang und Gleichschaltung wäre jeder deutsche Tölpel erfolgreich), allseitige Zustimmung unterstrichen und dem Publikum wird ein Nationalfest ungeahnten Ausmaßes angedroht.

Ganz wichtig: DSDS wird nicht kopiert. Es wird keine Castingshow geben. Aber man setzt weiterhin ausschließlich auf junge Talente. Im Hinblick darauf, dass Raabs "musikalische Glaubwürdigkeit" (piep, piep, piep) wohl nur noch zu beweisen ist, wenn man nur No-Names zu ihm in den Ring steigen lässt, fordere ich provokativ vorweg: Junge, eigenwillige Talente mit eigenem Repertoire.

Very hot, das Ganze
Das Beste: Man setzt auf die "Coolness des ESC". Wäre es da nicht lässiger gewesen, man hätte Polarkreis 18 (um bei der Kältemetapher zu bleiben) nominiert und die Jungs einfach machen lassen? Stattdessen fiebrige Anstrengungen um ein national-verklärtes, abgeschottetes Glücksversprechen und überhitzte Marktschreierei nach animalischer Geborgenheit bei Kartoffelsalat, Bockwurst und Bier.

Ich greife zu meiner Hausbibel "Cool". Cool, d. h. "Unbestechlichkeit der Wahrnehmung. Nicht verführt werden können, wenn man es nicht will. Der Invasion des psychischen Systems durch Medien mit emotionaler Dissidenz begegnen." aus: Poschardt, Ulf: Cool. Hamburg 2000

Sonntag, 2. August 2009

Brot und Spiele

Der gebührenfinanzierte NDR hat am 20.07.09 seine Unfähigkeit in der Ausrichtung eines Musikwettbewerbs eingestanden und preist es als Innovation, Stefan Raab bzw. Pro Sieben um Hilfe gebeten zu haben. Diesen selbstverursachten Image-Schaden muss man erst mal schlucken. Stefan Raab hingegen poltert seitdem laut und derb wie ein Stammtischbruder über alle Bedenken hinweg: "Na also, geht doch!"

Der journalistischen Zunft fällt wie immer im ESC-Diskurs nichts Besseres ein, als dieses Zitat mit der dazugehörigen PR massenhaft wiederzukauen. Jedem Artikel ist aber ein anderes Foto von Raab beigefügt, und fast jedes Mal schneidet er eine Fratze. Das verleiht der ganzen Aktion unterschwellig was Verhöhnendes. Die Erleichterung scheint bei Raab und Pro Sieben also größer zu sein als beim NDR. Das muss genauso wenig wundern, wie das Fehlen einer kritischen Auseinandersetzung in der Öffentlichkeit.

Wen und was repräsentiert Raab eigentlich?

Den mutigen Einzelkämpfer in der neoliberalen Privatwirtschaft? Mittlerweile dürfte bekannt sein, dass solche Idole reine Fiktion, Wunschfiguren sind, die ohne Milliarden-Subvention und sozialen Einschnitten nicht zu haben sind. Aber als notwendige Illusion unentbehrlich, da sie uns zweifelhafte Entscheidungen und eine triste Wirklichkeit als wünschenswert und alternativlos erscheinen lassen sollen. Und genau dem entspricht das neue Konzept.


Der gepolterte Medienhype ums Konzept geht nämlich sehr in Richtung "Brot und Spiele". Raab in der FAZ: "Die Zuschauer müssen den, der da antreten soll, erst mal kennenlernen. Nach acht Sendungen hat das Publikum einen Finalisten, den es kennt, liebt und unterstützt. Das kann so emotional werden, wie es sonst nur bei der Fußball-Weltmeisterschaft geht, weil im besten Fall das ganze Land hinter einem Künstler steht." [...] "Es kommt wirklich darauf an, die Veranstaltung zu emotionalisieren." Und zur Frage, wie er sich erfolgreiche Musik beim ESC vorstellt: "Eigentlich ist das nur das sekundäre Ziel."

Das primäre Ziel

Die Stuttgarter Zeitung fasst es zusammen:
"Wahrscheinlich ist es aber doch das inständige Streben der ARD, im zu erwartenden Niveau wieder einen Siebenmeilenstiefelschritt in Richtung RTL 2 zu machen und im kommenden Frühjahr wochenlang mit den nichtigsten Privatdetails der Kandidaten auf den bunten Seiten der "Bild"-Zeitung präsent zu sein. Schließlich soll es doch "Das Fernsehereignis im Frühjahr 2010" werden, wie Thomas Schreiber, der ARD-Koordinator für Unterhaltung, bereits frohlockte."

Immerhin ist Raab so klug, seinen BVSC von "Brot und Spiele" zu trennen. Damit bleibt den anspruchsvolleren Musikliebhabern und deutschen Nachwuchsmusikern immerhin dieses Vergnügen erhalten.