Während einige Interpeten vor dem Eurovision Song Contest gepusht und gepampert werden, müssen andere zusehen, wie sie sich mit spärlichen Mitteln vorbereiten. Zur letzten Gruppe gehört sicherlich auch Anastasia Vinnikova aus Weissrussland. Schon allein in dieser Hinsicht kommt ihr Liedtitel rüber wie ein "jetzt erst recht", er lautet: I Love Belarus.
Da Weissrussland in Europa als die letzte diktatorische Bastion des Kalten Krieges gilt, wundert es nicht, wenn dieser Titel für konservative ESC-Fans zum roten Tuch, zur Provokation schlechthin wird. Aber Hand auf's Herz: Verbirgt sich hinter dieser radikalen Ablehnung nicht auch ein wenig Verärgerung, weil sich die jungen Weissrussen ausgerechnet beim Song Contest im reichen Deuschland stolz und selbstbewusst präsentieren? Ich finde diese kleine Irritation eher amüsant, spannend, sogar faszinierend.
Chaos statt Musik?
In Weissrussland gab es für den ESC 2011 eine internationale Ausschreibung, woraufhin 29 Beiträge aus 8 verschiedenen Ländern eingingen. Die erste Wahl fiel auf die in Deutschland lebende Weissrussin Katya Langer, da aber ihr Lied "Running Man" bereits 5 Jahre alt war (die Beiträge dürfen nicht vor dem September des Vorjahres veröffentlicht worden sein), wurde sie disqualifiziert. Die nächste Wahl fiel auf Anastasia Vinnikova und das Lied "Born in Byelorussia", dies allerdings zum Erstaunen des Komponisten Evgeny Oleynik: "I'm a bit surprised of course that the jury has preferred this very track. [...] We were writing [this song] not for the contest, but now, we are reworking and correcting the lyrics."
Einige Tage später - 1 1/2 Wochen vor der Deadline - fiel auch dieser Beitrag der Disqualifizierung zum Opfer. Ein paar pfiffige russische Journalisten hatten herausgefunden, dass Anastasia dieses Lied bereits während einer Uni-Veranstaltung in Minsk performt hatte. Zunächst sah es so aus, als würde der Contest 2011 ohne Weissrussland stattfinden. Aber Anastasias Team hatte Blut geleckt. Innerhalb kürzester Zeit entstand ein neues Lied, der Clip zum Lied wurde gleich mitgeliefert. Statt kleinlaut zu werden, hatte man noch eins drauf gesetzt, denn der neue Beitrag hieß nun "I Love Belarus".
Für die 20-jährige Anastasia wird der ESC ihr erster großer TV-Auftritt und ihr erster großer Wettbewerb. Mutig und ambitioniert möchte sie zumindest das Finale erreichen und wünscht sich, dass ihr Lied ein kleiner europäischer Hit wird, vor allem in den ESC-Discos. Letzteres könnte ihr aus musikalischen Gründen sogar gelingen, denn in diesem von schleppender Spartenmusik dominierten ESC-Jahrgang gehört ihr Lied zu den wenigen, bei dem nicht nach bereits 20 sec die Füße einschlafen. Das einzige, was dem Europa-Hit im Wege steht, ist der Titel. Welcher (schwule) westeuropäische ESC-Fan möchte laut und fröhlich seine Liebe zu Weissrussland feiern?
Schöpferische Antwort auf ungerechtfertigte Kritik?
Ich habe mit dem Lied kein Problem. Zum einen kann man darauf verweisen, dass Politik beim ESC nichts verloren hat und den Text als reine Heimatschwärmerei verstehen. Darüberhinaus bin ich im Kalten Krieg aufgewachsen, die schulische Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Stalin und Schostakowitsch lehrte mich damals, die Musik aus Osteuropa nicht eindimensional zu verstehen. Ich erinnere mich sogar an ein Zitat von Schostakowitsch, in dem er seinen Mut für seine Kompositionen während der Stalin-Ära begründete: "Keine Sorge, sie werden es nicht ohne mich schaffen."
Vielleicht liegt der Grund von so viel Selbstvertrauen und Stolz des weissrussischen Teams in dem Wissen begründet, dass sie gebraucht werden. Damit würden sie einen interessanten Gegenpol zum portugiesischen Beitrag darstellen, der in Bezug zu Protesten der im Neoliberalismus überflüssig gewordenen "verlorenen" jungen Generation entstand.
In einem Interview nach dem Sinn des Liedes befragt, antwortet Anastasia, dass sie "ihr" Weissrussland, in dem sie geboren und aufgewachsen ist, durchaus liebt.
Damit ist nicht gesagt, dass "ihr" Weissrussland mit dem vorherrschenden Bild 100% identisch ist. Ihr Text lässt neben Heimatschwärmerei - wenn man denn möchte - sogar sehr gewagte Interpretationen zu:
"So here I go and I'm ready to rise up
Just like a star guiding me through the night
I've got no fear and I will never give up
love is all we need and it's our light."
Anastasia Vinnikova wird am 12.05.2011 im 2. Semifinale als Startnummer 16 um den Finaleinzug kämpfen.
Quelle: ESCKaz.com
Samstag, 16. April 2011
Anastasia Vinnikova - I Love Belarus
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen