Die Siegerin des diesjährigen ESC scheint seit dem 11.03.2018 bereits festzustehen: Es ist die 25 Jahre alte Netta Barzilai aus Israel mit dem Lied „Toy“. Sie überrascht mit ungewöhnlicher Stimmperformance, die an Hühnergegacker erinnert und mit der sie sich gleich zu Beginn des Liedes selbstironisch als Ulknudel präsentiert.
Virtuos beherrscht sie ihr Loop Station und avanciert im 3-Minuten-Song mit einem Mix aus elektronischen Elementen, Popmelodien, HipHop-Sounds, Rap-Passagen und Zweisprachigkeit zur ESC-Rampensau.
Dass Netta nicht den Normen eines Super-Models entspricht, ist vielen sympathisch. Ob es – wie in zahlreichen Medien hervorgehoben wird - allerdings ihre Absicht ist, diese Normen zu hinterfragen, lasse ich dahingestellt. Sie tut es durch ihr Aussehen auch ohne Absicht, und das ist gut so. Und was den ESC betrifft: Die durch Körperfülle Präsenz zeigende Damen sind zwar in einer Heidi-Klum-Sendung unerwünscht, beim ESC erfreuen sie sich großer Beliebtheit wie Stars wie Joy Fleming, Hera Björk oder Vania Fernandes bewiesen.
Feministen-Hymne oder Etikettenschwindel?
Nettas Lied wird in Medien als Feministen-Hymne bezeichnet. Schaue ich (mit meinem Background der 80er Jahre mit autonomen, selbstbestimmten Frauen- und Lesbenreferaten) genauer hin, komme ich zum gegenteiligen Ergebnis: Netta ist genau das, was sie vorgibt nicht sein zu wollen: Ein abhängiges Spielzeug des Mannes. Es gibt nämlich kaum einen Medienbericht, wo nicht ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass es Männer sind, die sich dieses Eurovisionskonzept ausgedacht haben. Der Artikel „Meet the gay composer of Netta's Toy, the song tipped to win Eurovision“ belegt dies bestens.
Feministische Kritik oder Spaßverderberei?
Man mag meine Kritik als Haarspalterei zurückweisen und einwenden, dass es ja NUR Kommerz und NUR Eurovision Song Contest sei. Gegenfrage:
Was wäre aus Conchita Wurst geworden, wenn 3 Frauen laut damit geworben hätten, dass sie sich eine provokative Kunstfigur für schwule Toleranz ausgedacht, dieser Figur den Namen Wurst verpasst, sie mit Bärtchen und Kleidchen ins ESC-Rennen und gegen Russland ins Feld gejagt hätten? Man kann mit Fug und Recht sagen: Nichts. Und die 3 Frauen wären wohl zu Per·so·nae non gra·tae erklärt worden.
Daran, wie UNDENKBAR so etwas ist, sieht man, wie weit wir von der Emanzipation entfernt sind. Ist auch die Frage, ob Feministinnen solche Methoden und Kunstfiguren benötigen.
Um meine kritische Haltung verständlicher zu machen, ein Blick zurück auf das Werk „Das andere Geschlecht“ von Simone de Beauvoir, das früher unsere Bibel war. Dazu heißt es zusammengefasst auf Wikipedia, „dass Frauen von den Männern zum „Anderen Geschlecht“ gemacht worden seien. Dies bedeutet [...], dass sich der Mann als das Absolute, das Essentielle, das Subjekt setzt, während der Frau die Rolle der Anderen, des Objekts zugewiesen wird. Sie wird immer in Abhängigkeit vom Mann definiert. [...] Wenn sie ihrer „Weiblichkeit“ gerecht werden will, muss sie sich mit einer passiven Rolle begnügen.“
Der propagierte Feminismus im ESC-Konzept von Netta Barzilai ist also reiner Etikettenschwindel. Unter dem Gesichtspunkt der männlichen Vormachtstellung und seines Wunschdenkens bekommt Nettas Hühnergegacker und „ungenormtes“ Aussehen ein … Geschmäckle.
Aufgesprungen auf den #MeToo-Zug
Das hat zusätzlich eine polarisierende Wirkung. Meiner Beobachtung nach ist es mit Emanzipation, Freiheit, Demokratie usw. vorbei, wenn sie von Medien und Mächtigen mit der Geste der "Fürsorge" der „kindlichen“ Bevölkerung aufgezwungen werden.
Gab es bei den Emanzipationsbewegungen der 70er und 80er Jahre noch eine gemeinsame „linke“ Identität, werden heutzutage Homosexuelle, Feministinnen, Behinderte, Anti-Rassisten etc. auf nicht-diskursive körperbezogene Bedürfnisse reduziert, stets isoliert hervorgehoben und gerne als Opfer irgendwelcher Bösewichte (meistens Putin) hofiert. Als „betroffene“ Emotionsbündel aufgestachelt dienen sie Medien und Politikern als Spielball und Sprachrohr gleichermaßen. Eine sichere Methode, um in der Bevölkerung Verunsicherung und Zwietracht zu streuen und jede Form der Solidarität zu zerstören.
Fazit: Netta und ihr Lied sind gut, aber das Konzept ist genauso mies wie beim französischen Beitrag.
...
Samstag, 17. März 2018
Netta Barzilai aus Israel - Quoten-Frau im Militainment des Eurovison Song Contest?
Labels:
ESC2018,
Eurovision Song Contest,
Feminismus,
Israel,
Lissabon,
MeToo,
Netta,
Portugal,
Toy
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen