Während man in der Popmusik für gewöhnlich unsaubere Intonationen toleriert oder wohlwollend als individuellen Ausdruck hinnimmt, scheint man im europäischen Ausland wieder verstärkt Wert auf die Reinheit des Gesanges zu legen. Die Ergebnisse sind für mich allerdings ein Balance-Akt zwischen Faszination und Lachnummer.
Schweden
Eine der schönsten Stimmen hat Sanna Nielson aus Schweden. Ihr Lied „Undo“ oder besser das Arrangement ihres Liedes finde ich aber zu dick aufgetragen. Lo-fi, Folk und Singer-Songwriter-Stücke würden meiner Wahrnehmung nach besser zur Sängerin passen. Mit ihrem pathetischen Beitrag, in dem natürlich das selbstreferenzielle "Here is my voice" der Eurovisionsstücke nicht fehlen darf, wirkt sie auf mich wie ein in die Jahre gekommenes Schulkind (seit 2001 versucht sie ihr Glück bei schwedischen Vorentscheidung), das ein überarrangiertes, einstudiertes Weihnachtslied vorträgt.
Belgien
Belgiens Vertreter Axel Hirsoux erinnert mich an die Kandidaten aus Dieter Bohlens Show Deutschland sucht den Superstar. Unbeholfen und übergewichtig sieht er aus wie ein unscheinbarer Straßenpassant und verblüfft einzig mit seiner Stimme, die er mit der Attitüde eines klassisch ausgebildeten Opernsängers präsentiert. Wenn dieser 31-Jährige dann aber ein schnulziges Loblied auf seine Mutter anstimmt, fühle ich mich an Hitchcock's Psycho erinnert.
Dieser Sieger ist das Ergebnis einer monatelangen Castingshow. In der Jury saß keine Geringere als die ukrainische ESC-Siegerin Ruslana, die bei den Unruhen in der Ukraine eine prominente Rolle spielte (siehe hierzu auch meinen Text zum JESC am 30.11.2013.) Ist das nun ihre Vorstellung von revolutionärer Musik? Sie nutzte ihre Jurytätigkeit, um in ihrem neuen Büro in Brüssel zu arbeiten. Ihr Mitwirken ausgerechnet bei der belgischen Vorentscheidung wurde schon am 09.10.2013 offiziell bekannt gegeben, was
zumindest aus Eurovisionssicht darauf hinweist, dass der ukrainische Umbruch mit bezahlten Promis so spontan und revolutionär (von unten) nicht war.
Norwegen
Carl Espen ist mit seinem Song Silent Storm bereits ein Fanfavorit, aber wo sind die Live-Auftritte auf youtube geblieben...? Auch er weicht sehr vom Aussehen eines typischen Schlagersängers ab. Er singt zwar mit natürlicher Stimme, setzt aber auch extrem auf Introvertiertheit, Andacht und Erbauung. Als Schreiner, Türsteher eines Nachtclubs in Bergen und ehemaliger Kosovo-Soldat hat er wohl plötzlich ganz zarte Seiten in sich entdeckt...
Noch unmöglicher als die belgische Castingshow fand ich dieses Jahr die norwegische Vorentscheidung. Einer der Konkurrenten von Carl Espen war Mohamed 'Mo' Farah Abdi, ein Überlebender des Breivik-Attentates 2011. Wie ein norwegischer Kulturjournalist in der Osnabrücker Zeitung zitiert wurde, 'dürfte das die Mitglieder der an der Regierung beteiligten einwanderungsfeindlichen Fortschrittspartei geärgert haben'. Schon während der Vorentscheidungsphase wurde Mo's Twitteraccount von Neofaschisten angegriffen. So ist es nun durchaus vorstellbar, dass durch die Einbindung eines Kandidaten wie Mo, Carl Espen seinen Sieg nicht zuletzt auch dem Support von Neofaschisten verdankt, die Mo verhindern wollten. Genau mit solchen unverdächtigen Beiträgen versuchen diese verdeckt arbeitenden Gruppen beim „Länderwettstreit“ den Mainstream aufzumischen.
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Dienstag, 25. März 2014
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