Während die Rumänen mit einem Crossover von barocker Gesangstechnik und Pop mutig experimentieren, hört sich das Crossover der Bulgaren von Folk, Jazz und Pop weniger als Experiment, sondern mehr als ein Wettbewerbskalkül an.
Für mich ist ihr Kalkül aufgegangen, denn der Beitrag Samo Shampioni von Elitsa Todorova und Stoyan Yankoulov erfüllt zu 100% meine Hörerwartungen an einen bulgarischen Beitrag in einem Popmusikwettbewerb.
Er ist mein persönlicher Favorit.
Für mich ist ihr Kalkül aufgegangen, denn der Beitrag Samo Shampioni von Elitsa Todorova und Stoyan Yankoulov erfüllt zu 100% meine Hörerwartungen an einen bulgarischen Beitrag in einem Popmusikwettbewerb.
Er ist mein persönlicher Favorit.
Sie haben schon 2007 mit einem ähnlichen Beitrag "Water" teilgenommen und mit Platz 5 das für Bulgarien bislang beste Ergebnis eingefahren. Der Begriff Wettbewerbskalkül mag für Puristen einen negativen Beigeschmack haben, aber meiner
Erfahrung nach gibt es auf dem Balkan nur wenige Puristen. Balkan-Musik höre ich als eine sich ständig entwickelnde Mixtur verschiedener Volkstraditionen und moderner Genre im Spannungsfeld von Marginalisierung und Kommerzialisierung. Dieses Phänomen sowie meine hohe Wertschätzung dafür möchte ich beispielhaft und kurz anhand der Bulgarischen Hochzeitsmusik erklären, und die klingt so.
"Only wild ones, only champions
Golden boys and girls for millions
Give us the young ones, give us the happy ones
And the whole village comes, sing, don’t be afraid" (aus: Samo Shampioni)
Stoyan Yankoulov kenne ich von der 2003 erschienenen CD „Fairground“ des berühmtesten Vertreters der Bulgarischen Hochzeitsmusik, Ivo Papasov, auf der Stoyan als Percussionist (Tupan Drum) mitwirkt. Ich habe schon 2007 nicht
schlecht gestaunt, ihn ausgerechnet auf der ESC-Bühne zu sehen.
Hochzeitsmusik war hinterm Eisernen Vorhang ein Teil der Jugendkultur in Bulgarien. Sie zeichnete sich aus durch Verschmelzung griechischer, mazedonischer, türkischer, serbischer und rumänischer Einflüsse, vor allem aber auch Einflüsse der Roma-Kultur. Komplexe Harmonien, fliegender Tonarten- und Taktwechsel waren ihre musikalischen Merkmale. Die Bands bestanden meist aus 4 – 10 Mitgliedern mit Akkordeon, Klarinette, E-Bass, E-Gitarre, Schlagzeug, Synthesizer, Trompete, Violine, Saxophon, Kaval (Flöte), Gaida (Dudelsack) und Gudulka (3-saitige Laute). Oft kamen noch Frauenstimmen mit ihrer spezifischen bulgarischen Gesangstechnik (Kehlgesang) hinzu, wie ihn Elitsa Todorova auch im ESC-Beitrag vorführt.
Es ist klar, dass diese Musik in der vom ethnischen Nationalismus geprägten Diktatur Bulgariens verboten war. Im damaligen Bulgarien wurde die Existenz von ethnischen Minderheiten schlicht verleugnet, diese wurden assimiliert, mussten offiziell ihre Kultur und sogar ihre Namen aufgeben. Der Staat förderte nur die „reine“ bulgarische Musik, bestenfalls russische Einflüsse waren erlaubt.
Genauso leuchtet ein, dass diese Musik mit ihrer Elektrifizierung, Lautstärke, Geschwindigkeit, Virtuosität (je betrunkener, desto schneller), ihren Anleihen aus der westlichen Rock-, Pop- und Jazzmusik die heimlichen Superstars produzierte, und hier war es egal, welcher Minderheit sie zugehörten. Für Nicht-Roma wurde diese Richtung daher sogar doppelt subversiv und beliebt.
Da diese Musik nicht offiziell gespielt werden durfte, fanden die Konzerte in privaten Zusammenhängen statt, z. B. bei Hochzeiten. Diese Hochzeiten ließ man sich was kosten. Sie dauerten mitunter tagelang und zählten bis zu 2500 geladene wie ungeladene Gäste, auch aus dem westlichen Ausland. Auf diese Weise etablierte sich ausgerechnet im Kommunismus ein Musikmarkt mit einem System von Angebot und Nachfrage, von dem diese Musiker-Stars sehr profitierten. Ivo Papasov wurde schon vor 1989 vom Produzenten Joe Boyd aufgesucht, natürlich nahm Papasov nach 1989 die Zusammenarbeit an und tourte erst mal durch die USA. Bekannt war mir die bulgarische und mazedonische Musiktradition auch durch irische Folkmusiker (Planxty), die sich schon seit 1968 vom Balkan insipirieren ließen.
Nach dem Mauerfall konkurrieren die Hochzeitsmusiker nicht mehr untereinander, sondern müssen sich der Konkurrenz auf dem internationalen Musikmarkt stellen, und auf diesem Markt bringt es ihnen nicht wirklich was, dass ihre Musik nun sogar legal zu kaufen ist. Mit hervorragenden Improvisationen und atemberaubender Virtuosität sind sie zwar immer noch gefragte Live-Musiker, nur kann sich im heutigen Bulgarien kaum noch jemand große Feste leisten. Ich bin aber sicher: Würde Bulgarien den ESC ausrichten, bekäme man als anreisender Musikfan - besonders außerhalb des ESC-Rahmens – auf Bulgariens Plätzen, in seinen Clubs, Kneipen und Restaurants immer noch genug mit von der bulgarischen Musikszene.
Ich bin gespannt, ob dieser bulgarische Beitrag über alle politischen Transformationsprozesse hinweg durch unsere sog. ESC-Jury-Experten der TV-Anstalten weiterhin als Minoritätenmusik abgestempelt wird, oder ob man ihnen eine Chance einräumt. Einen bedenklichen Zwischenfall gab es schon:
Elitsa und Stoyan wurden vom bulgarischen Staats-TV nominiert. Bei der bulgarischen Vorentscheidung stellten sie 3 Musikstücke vor, über die das Publikum und eine Jury entscheiden durfte.
Insgesamt eine schöne Zusammenstellung, aber wenn man sich diese 3 Stücke anhört, merkt man sofort, welches der von den Musikern bevorzugte Beitrag ist: Samo Shampioni. Aber als Publikumsfavorit wurde dann „angeblich“ Kismet gewählt, ein etwas dröger Beitrag, meiner Wahrnehmung nach eher für die Puristen der reinen bulgarischen Musik. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als ein paar Wochen später diese Entscheidung zugunsten Samo Shampionis rückgängig gemacht wurde, mit welcher fadenscheinigen Begründung ist mir offengestanden egal
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