Gerne würde ich hier über die ersten bekannten Beiträge zum ESC 2013 schreiben, aber dafür sind die Beiträge zu schlecht. Bis auf wenige 
Ausnahmen überbieten sich die Länder genau wie 2010 und 2011 in 
Einfallslosigkeit. In den Vorentscheidungen treten durchaus interessante
 Interpreten mit unterhaltsamer Performance auf, die Siegerlieder jedoch
 sind von einer aggressiven Schlichtheit.
Beispiel Finnland: Statt der jungen Metalband Arion bekommen wir in Malmö Krista Siegfried geboten.
Beispiel Estland: Wochenlang polarisierte die Punkband Winny Puhh das Publikum, am Schluss gewinnt nicht mal ein nettes Lied von Körsikud, sondern ein langweiliges Stück,
 das dem finnischen in seinen leeren Akkorden und abgedroschenen 
Kadenzen verdammt ähnlich ist. Diese Beispiele könnte ich mit Island, 
Spanien, Armenien, Bulgarien, Malta, Schweiz, Österreich, Belgien etc. fortführen.
Im folgenden Text möchte ich die Abstimmungsmodalitäten zur Diskussion stellen mit der provozierenden Frage:  Zu
 welchem Zweck wird das europäische Publikum jedes Jahr in eine Show 
eingebunden, in der es über Lieder und Interpreten abstimmt, die die 
Welt nicht braucht?
„Es kommt nicht darauf an, wer was wählt, sondern wer am Schluss die
 Stimmen auszählt.“ In fast 15 Jahren intensiver Beobachtung konnte und 
wollte mir niemand die folgende Frage beantworten: Wer kontrolliert 
eigentlich diese Auszählung? Was ist das für eine Mitbestimmung, wenn 
das Publikum keine Transparenz und Kontrolle hat, ja, es nicht einmal 
einfordert?
Bekanntermaßen sind die Ergebnisse einer Publikumsbefragung bei 
einem Musiktest bzw. Musikwettbewerb nur bedingt Ausdruck von 
musikalischen Präferenzen. Man misst damit in erster Linie menschliches 
Verhalten. Ohne Kontrolle und Transparenz sind dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Dass der ESC uns Deutschen als ein 
nicht ganz Ernst zu nehmender Tralala-Wettbewerb verkauft wird, 
erscheint mir Kalkül, damit keiner genauer hinschaut. Denn immerhin 
lässt man sich diesen Tralala-Wettbewerb jedes Jahr 2–3-stellige 
Millionensummen kosten. Um so bedenklicher auch die Tatsache, dass es 
dazu absolut keinen Musikjournalismus gibt. Man findet ausschließlich 
PR-Texte, die von Fans massenweise multipliziert werden. Mit der 
Einführung des Telefonvotings in den 90er Jahren hat man diesen Fans 
Akkreditierungen und billige Sitzplätze in den ersten Reihen (seit 
diesem Jahr nur noch Stehplätze) zur Verfügung gestellt, die Fans werden
 diese kleinen Geschenke natürlich nicht mit kritischen Fragen aufs 
Spiel setzen.
Deutsche, Hände weg vom Telefon!
Beispiele für 
Missbrauch konnte man in den letzten Jahren in Deutschland studieren. 
Seit 2008 fasst der NDR seine Zielgruppe immer enger, sie heißt auf 
keinen Fall mehr Europa. Thomas Schreiber vom NDR lässt keine 
Gelegenheit aus, einen Keil zwischen ost- und westeuropäische Staaten zu werfen.
 Bislang beispiellos in der Geschichte des ESC war die politische 
Hetzkampagne gegen den musikalischen Konkurrenten Aserbaidschan (gab es 
nur in Deutschland und in abgeschwächter Form in Schweden!). Wer so eine
 Kampagne mit politisch nicht legitimierten Menschen aus der 
Unterhaltungsbranche, im Rahmen eines Tralala-Wettbewerbs, beauftragt 
und monatelang in überregionalen Medien verbreitet, will auch eine 
Erfolgsmessung. Da liegt es nahe, sich die Telefonabstimmungen genauer 
anzuschauen. Folgende Fragen könnte die Auswertung beantworten:
Wie viele Leute waren im Vergleich zu den Vorjahren noch bereit für Aserbaidschan anzurufen? 
Für wie glaubwürdig hält man die deutsche Berichterstattung? 
Wie erfolgreich lassen sich Dispositionen und Verhalten durch die Medien steuern?
Die Aserbaidschaner sind 2009 sogar noch einen Schritt weiter 
gegangen und haben Gebrauch gemacht von der Vorratsdatenspeicherung. Sie
 haben sich diejenigen vorgeladen, deren Abstimmungsverhalten ihnen 
nicht genehm war. Achtung: Solange es in keinem Land Transparenz gibt, 
ist moralische Empörung darüber nicht der Politik, sondern nur dem 
Publikum vorbehalten.
Interessant ist für mich auch die Tatsache, dass die Türkei dieses 
Jahr nicht am Song Contest teilnimmt, was mit ungerechten 
Abstimmungsmodalitäten begründet wird. Die deutschen Multiplikatoren 
deuten dies als einen beleidigten Rückzug, da die Türkei mit der 
Wiedereinführung der Jury Punkteverluste hinzunehmen hatte. Ich halte 
dagegen, dass es die Türken genauso gut stören könnte, wenn die 
Deutschen Jahr für Jahr das Verhalten der türkischstämmigen Mitbürger 
studieren... Alles fängt unverbindlich und im Spaß an, aber nach 
jahrelanger Beobachtung wundert es mich offengestanden, dass diese 
Publikumskontrollen und Auswertungen auf internationaler Ebene überhaupt
 noch geduldet werden.
Turkey 12 points, Russia 12 points...
Und jetzt 
die Begründung, warum man zumindest beim ESC nur zum Teil musikalische 
Präferenzen misst und wie man mit einem Tralala-Wettbewerb politisch 
Stimmung machen kann:
Von 1956 bis 1997 wurde der Sieger intern durch Juroren ermittelt. 
Seit 1997 hat man schrittweise das Telefonvoting eingesetzt, das dann 
einige Jahre später die Juroren vollständig ablöste. Dabei stellte sich 
heraus, dass Menschen mit Migrationshintergrund gerne und oft für ihre 
Heimatländer anriefen, wodurch das Ergebnis in manchen Ländern sehr 
vorhersehbar wurde: Turkey 12 points, Russia 12 points... Das einzig 
Positive an diesem Phänomen war, dass die Beiträge der so begünstigten 
Länder immer besser wurden. Der Contest 2007 war zwar für 
ESC-Verhältnisse von hoher Qualität, aber Westeuropa spielte darin keine
 Rolle mehr.
Um hier gegen zu steuern, wurde - vor allem auf Drängen der 
Deutschen - die Jury wieder eingeführt.  Und damit begann zugleich der 
politische Missbrauch. Man hätte ja den Rückschluss ziehen können, das 
musikalische Niveau westeuropäischer Beiträge zu erhöhen. In Deutschland
 hätte man sich der Aufgabe stellen können, Menschen mit 
Migrationshintergrund mehr in die Welt des Boulevard, des Schlagers, der
 volkstümlichen Musik und in die Vorentscheidungen zu integrieren (in 
anderen Ländern üblich).
Aber das Ergebnis wird nicht musikalisch, sondern ausschließlich 
politisch interpretiert. Und statt Integration machen die Deutschen 
genau das Gegenteil: Sie schüren Vorurteile, indem sie den Migranten und
 ihren Heimatländern Betrug vorwerfen, der nur von autoritären Experten 
begrenzt werden könne. Sind aber die Mehrfachanrufe wirklich Betrug?
Da ALLE Teilnehmerländer zum Einsatz einer Expertenjury verpflichtet
 wurden, wurden - zumindest auf der Ebene der Organisatoren – aus 
„Feinde“ wieder Komplizen. Diese sogenannten Jury-Experten sind nämlich 
nicht weniger Interessen geleitet als das Publikum. In den meisten 
Fällen handelt es sich um Vertragspartner eines amerikanischen Major 
Labels. Sie scheinen den Contest als eine PR-Maschine aufzufassen, bei 
dem der Sieg Beliebtheit und Qualität vortäuscht. So kann man wunderbar 
Ladenhüter und Nichtskönner verramschen – oder sich im kleineren Kreis 
absprechen und politisch motiviert abstimmen.
Bei so unterschiedlichen Ansätzen und Interessen hätte man 
mindestens 2 Sieger, einen Publikums- und einen Jury-Sieger, benennen 
müssen. Stattdessen wird das Publikumsergebnis mit dem Jury-Ergebnis 
verrechnet. Die Abstimmungsprozedur ist wie folgt: Erst wird das 
Publikum zum Anrufen animiert, es zahlt – auch bei Mehrfachanrufen – 
jeden seiner Anrufe und kauft sich symbolisch seinen Beitrag. Damit 
verdienen Telefonkonzerne und Rundfunkhäuser nicht schlecht. Danach wird
 das Ergebnis dann aber von der Jury gekippt. Das ist meiner Meinung 
nach Betrug und als Feedback für Musiker und für die europäische 
Musikwirtschaft sinnlos. Wozu also das Ganze?
Die Erfolge der so ermittelten Sieger wirken auf mich jedes Jahr wie
 Hütchenspielertricks. Mag man bei den 3 Minuten im Finale noch vom 
Trickreichtum fasziniert sein, lässt sich diese Faszination nicht mit 
Titelverteidigung, Preisverleihungen, Charterfolgen und 
Zwangspräsentationen in Dauerschleife wiederholen. Mir kommen die 
ESC-Helden wie Landplagen vor; sie profitieren ausschließlich von einem 
maschinenhaften, hermetisch abgeriegelten Medienindustriekomplex, der 
jede Frage, jede Kritik und jeden Zweifel an sich nieder walzt.
Das Publikum hat keine Lobby.
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