Mazedonien lässt sich dieses Jahr von der Grande Dame des Roma-Gesangs
vertreten: Esma Redzepova. Gemeinsam mit dem jungen mazedonischen Sänger
Vlatko „Lozano“ Lozanoski wird sie das Lied „Pre da se razdeni“ (Vor
der Morgendämmerung) singen. Ich mag dieses Lied sehr, obwohl die
Produktion nicht gerade wohlgeraten ist. Was hätte dagegen gesprochen,
das Lied mit mehr akustischen Instrumenten einzuspielen? So klingt es
stellenweise lieblos und Störgeräusche und Comic-artige Sounds lassen
den Einsatz von Esmas Gesangspart komisch wirken.
Esma Redzhepovas bekannteste Lied „Čaje šukarije“
kennt jeder, und sei es auch nur durch den Borat-Film „Kulturelle
Lernung von Amerika um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu
machen“. Sacha Baron Cohen hatte das Lied zum Verdruss der Interpretin
Esma Redzhepova im Film „verwurstelt“. Das Lied ist aus dem Jahr 1961
und gilt als der erste kommerzielle, erfolgreiche Roma-Hit.
Die 1943 in Skopje (Mazedonien) geborene Esma Redzepova kann seit
diesem Hit heute auf eine erfolgreiche Karriere zurückblicken: 15000
Konzerte in ca. 30 Ländern, 108 Singles, 20 Alben (2x Platin, 1x Gold)
und 6 Filme. Für ihr humanitäres Werk wurde sie sogar 2x für den
Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Als Vermittlerin zwischen Roma und
Nicht-Roma wurde sie zur „Queen of Gypsy“, zum „Millenium Singer“ und
zur „Primadonna of the European Singing“ gekürt und bekam schließlich
den UNICEF Award.
Während also im kommunistischen Bulgarien Minderheiten verfolgt
wurden, beweist Esmas Karriere, dass die Roma im ehemaligen Jugoslawien
viele Freiheiten genossen. Indem man ihnen z. B. Zugang zur Bildung
gewährte, entwickelte sich nur hier eine akademische Roma-Elite. Leider
hat sich die Lebenssituation der Roma durch die politischen und
sozioökonomischen Auflösungsprozesse der 90er Jahre wieder extrem
verschlechtert. Nur Mazedonien stellt noch eine Ausnahme dar, hier sind
ihre Rechte Teil der Verfassung. Sie haben politisches Mitspracherecht
und ihre Kultur wird wie ein eigenständiger Wirtschaftszweig vermarktet.
Bei der Recherche stieß ich auf den Film-Trailor „Gypsy Caravan“ (When The Road Bends)
mit u. a. Esma, wie sie durch Amerika tourt, und plötzlich erinnerte
mich die paradoxe Situation der Roma an die der Schwarzen: Je machtloser
sie politisch und gesellschaftlich waren, desto mehr wuchs ihr Einfluss
im kulturellen und musikalischen Bereich, je mehr sie sich
integrierten, desto mehr vewässerte der kulturelle Einfluss.
Unterdrückte und an den Rand gedrängte Gruppen scheinen eine sehr
ausdrucksstarke Musik zu entwickeln, die sich vor allem in Improvisation
und im emotionalen Ausdruck der Stimme äußert. Man achte im folgenden
(fantastischen!) Song Hajri Ma Te Dike auf Stimme und Bläser.
Der Roma-Stil wird beim nächsten ESC (wenn auch in sehr
abgeschwächter Form) sein Debüt feiern, denn Esma Redzepova wird einige
Parts in Romani singen. Es gibt viele gute Interpreten dieses Jahr, dazu
zählt gewiss auch ihr junger Duettpartner Vlatko, aber Esmas kurzer Auftritt ist der ausdrucksstärkste und emotionalste.
Akustisch wie auch optisch wirkt sie auf mich wie eine Bluessängerin.
Und jetzt kommt die ESC-Groteske:
Das mazedonische Publikum musste
die weltberühmte Esma erst an ihre Rolle als „Gypsy-Queen“ erinnern und
sie auffordern Roma-Musik zu singen, ansonsten hätte sie „verwässerten“
Ethno-Pop gesungen. Der Wahl dieses Liedes ging nämlich ein politischer
Skandal voraus, der kurz rekapituliert werden soll
Am 28.12.2012 gab der mazedonische Fernsehsender MRT die Nominierung
von Esma und Vlatko bekannt. Am 19.02.2013 präsentierten beide ihren
ESC-Videoclip „Imperija“ (Imperium). 24 Stunden später musste dieses
Video auf Grund von Beschwerden aus dem In- und Ausland wieder
zurückgezogen werden.
Kritiker sahen darin nur plumpe Werbung für das von der konservativen Regierung forcierte und politisch umstrittene Projekt „Skopje 2014“,
das eine Verschönerung von Skopje ausschließlich mittels Bau von
Repräsentationsobjekten und nationalen Denkmälern vorsieht. Das Video
präsentierte in der Tat ein „mazedonisches Disneyland“. Ganz zu Anfang
wurde ein Reiterdenkmal von Alexander dem Großen eingeblendet, was in
Anbetracht des Titels „Imperija“ vor allem von Bulgaren und Griechen als
eine provozierende Geschichtsverfälschung betrachtet wurde. Nicht von
ungefähr heißt Mazedonien beim ESC immer noch „FYROM“ (Former Yugoslav
Republic of Macedonia).
Das Lied war ein einfaches Ethno-Popstück in mazedonischer Sprache,
in dem Esma nach Meinung der Mazedonier überhaupt nicht ihrer Rolle als
„Queen of Gypsy“ gerecht werde. Esma selber schien sich lieber als eine
Mazedonierin präsentieren zu wollen. Grundsätzlich setzt sie sich sehr
für den EU-Beitritt Mazedoniens ein und wollte in dieser Mission beim
ESC auftreten. Vielleicht wollte sie mit Video, Liedtitel sowie auch dem
Projekt Skopje 2014 diese Botschaft unterstreichen...?
Kurzfristig über das negative Feedback erschüttert, steckte sie es
aber dann professionell weg. Musiker und TV-Anstalt zeigten sofort
Einsicht und waren bereit, ein anderes Lied zu wählen. Der jetziger
Beitrag „Pre da se razdeni“ wurde von Darko Dimitrov und Lazar
Cvetkovski in Zusammenarbeit mit ihrem Sohn Simeon Atanasov geschrieben.
Ich halte es durchaus für denkbar, dass die sonderbare Hintergrundmusik
und der stellenweise komische Text ein bisschen Restwut wegen des
Liedtausches zum Ausdruck bringen soll.
....
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