Sonntag, 14. Mai 2017

Portugals Siegerbeitrag repräsentativ für ein impotentes, alterndes Europa?

Glanzloser Sieger, spannungsloses Voting und zähe Show, das war der Eurovision Śong Contest 2017. Sieger und Song dürften niemanden wirklich vom Hocker reißen, aber sie tun auch niemandem weh. Entscheidender dürfte sein, dass nach den leidigen Querelen Russland/Ukraine alle aufatmen, weil dies für’s erste überstanden ist. Ich glaube behaupten zu dürfen, dass Portugal als Austragungsort 2018 der langersehnte Traum aller ESC-Fans ist. 

Aufgrund einer Herzkrankheit konnte der neue ESC-Sieger Salvador Sobral aus Portugal nicht an den Promo-Aktivitäten und Proben teilnehmen und schien nur wie zufällig beim ESC in Kiew vorbei zu schauen. Wozu proben? Ohne Proben lieferte er einen tiefenentspannten und dementsprechend körperlich unkontrollierten Auftritt ab ohne technische Spielereien und mit einem Lied, das sich wie ein unverkäuflicher Restposten einer Schellackplatte anhörte. 

Twitter: Omma ist eingenickt und fragt im Halbschlaf wann die DDR auftritt. Mein Gott, was denkt sie wie lange sie geschlafen hat? #esc2017 
Europa dämmerte am Abend des 13.05.2017 wie Omma diesem Sieg entgegen und schien gar nicht zu bemerken, dass der Herzkranke sonderbarerweise die Spannung beim Voting verdammt gut verkraftete. Das Publikum hatte sich sein verstaubtes Lied als “sensationellen Jazz” unterjubeln lassen. Kommentatoren interpretierten seinen nachlässigen Gesang und seine Zuckungen als “Authentizität”. Und prompt verstummte der Saal vor lauter Ehrfurcht und man sah Gesichter, denen “wie im Rausch” die Tränchen über die Wangen rollten… 

Die Diskrepanz zwischen Realität und Worthülsen war selten grotesker
Möglicherweise passen diese Worthülsen genauso wenig zum Interpreten wie der Interpret zum ESC. Sobral nach seinem Sieg: „Wir leben in einer Welt völlig austauschbarer Musik – Fast-Food-Musik ohne jeden Inhalt. Musik ist kein Feuerwerk. Musik ist Gefühl. Lasst uns versuchen, etwas zu ändern und die Musik zurückzubringen”. Das macht ihn sympathisch. Aber voilà! Was hat jemand mit dieser Einstellung beim ESC verloren? 

Salvador Vilar Braamcamp Sobral  
1989 in Lissabon geboren, abgebrochenes Psychologie-Studium, danach Jobs auf Mallorca und in den USA, um sich seinem Hobby Musik widmen zu können. Erst die Teilnahme an einer Casting-Show in 2009 macht ihn als komischen Kauz mit einer Vorliebe für lateinamerikanische Musik bekannter. 

Der Express berichtet: „Sein Urgroßvater war ein Graf. Und dessen Tante hatte den Sprössling einer deutsch-portugiesischen Nebenlinie des Hauses Oldenburg geheiratet – aus der Linie (Achtung!) Schleswig-Holstein-Sonderburg-Beck. Einer seiner Vorfahren wiederum kam aus dem Hause Hohenzollern. Das Geschlecht also, das deutsche Kaiser und Könige hervorbrachte.“ 

Die Niederländer weisen stolz auf seine niederländische Abstammung hin: „Salvador Vilar Braamcamp Sobral, zoals hij voluit heet, stamt af van de Rijssense familie Braamcamp. Gerrit Braamcamp, de beroemde 17e-eeuwse Nederlandse kunstverzamelaar, is bijvoorbeeld familie van hem“.  

Sobrals Deplatziertheit beim ESC wurde ihm vor allem von den Experten und Juroren der Rundfunkanstalten hoch angerechnet 
So hoch, dass man ins Grübeln kam. Jahr für Jahr aus dem Boden gestampfte Play-Back-Kunstprofile mit schwedischen oder anglo-amerikanischen Popsongs und ausgefeilte Bühnentechnik für die TV-Zuschauer – und dann schwärmen sie geschlossen von einem schlichten Auftritt à la Sobral.

Sie inszenieren ein intransparentes, nicht mehr nachvollziehbares Voting, bei dem sie dann alle alle alle das Gleiche wählen. Das war langweilig und wirkte abgesprochen, als wäre Portugal plötzlich der letzte Strohhalm der EBU. 

Oder banaler: Wurden die Juroren einfach nur von Wettbüros bestochen, welche zuvor mit geschickter PR die ganze Aufmerksamkeit auf Italien gelenkt hatten? 

Kritik an Flüchtlingspolitik und Musikindustrie 
Mir ist der portugiesische Adelsspross erst aufgefallen, als er sich in der PK und bei der Eröffnungssequenz im Finale für ein unkontrolliertes Refugee-Welcome aussprach, und sich damit klar positionierte. Auch kritisierte er die Musikindustrie, die aus Kunst ein Wegwerfprodukt mache. Alles natürlich ohne Argumente, sondern nur so aus einer Gefühlslage heraus. 

Erinnert sich jemand an die Band Homens da Luta?  
2011 schickten die Portugiesen die Band Homens da Luta mit dem Song “Der Kampf ist die Freude” zum ESC nach Düsseldorf. Ihnen ging es auch um europäische Belange. Aber leider nicht um die der neoliberalen Machteliten, sondern um die der Bevölkerung. Damit erreicht man nicht mal das Finale. Begründungen waren: Landessprache, Lied zu schlicht und zu altmodisch, Klamotten unmöglich, zu wenig ausgefeilte Bühnentechnik.


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