Donnerstag, 7. November 2013

Eurovision Song Contest - Abstimmungsmodalitäten auf dem Prüfstand - Teil I

Die Punktevergabe war stets der Kult des Eurovision Song Contest. Mittlerweile sorgen die Beurteilungen der Lieder nur noch für internationale Dissonanzen. Außenminister aus Russland und Aserbaidschan sahen sich 2013 genötigt einzuschreiten, und die Türkei ist 2012 ganz ausgestiegen. Vorwürfe wegen Wettbewerbsverzerrung, Punktegeschacher, Stimmenkauf und Manipulationen aller Art machen die Runde und dabei werden gleich ganze Nationen in Bausch und Bogen verurteilt. Europa gerät beim ESC zunehmend in Kriegsstimmung. Trotz zunehmender politischer Scharfmacherei bleibt eine Beobachtung von Fachleuten aus Musik und Politik aus, man überlässt das Thema ESC weiterhin den Boulevardblättchen.

Nun hat die EBU (Eurovision Broadcasting Union) einen Anfang gemacht und ihr Regelwerk zur 59. Ausgabe der Eurovision 2014 optimiert und will mit den Begriffen „Strenge“ und „Transparenz“ alle Zweifel ausräumen. Ich habe es mir genauer angesehen und möchte es im Folgenden in 3 Teilen kommentieren. Als Bloggerin sind meine Recherchemöglichkeiten beschränkt, daher werden einige Fragen offen bleiben. Vielleicht können Leser diese Auseinandersetzung ergänzen.

Punkt 1.1.1. „A maximum of 46 countries shall be allowed to participate.“ Sind diese 46 Mitglieder auch alle befugt, über dieses Regelwerk abzustimmen? Oder kaufen sie vielmehr die Katze im Sack? Schwachpunkt Nr. 1: Man bekommt keine Auskunft, wie und durch wen dieses Regelwerk zustande gekommen ist. Stattdessen wird mehrere Male auf die Reference-Group verwiesen. Sollte diese Gruppe weitrechende Entscheidungsbefugnisse haben, erscheint sie mir in ihrer derzeitigen Zusammensetzung nicht ausgewogen und nicht repräsentativ für die Gesamtheit der europäischen Länder: 

Dr. Frank-Dieter Freiling, Deutschland, Chairman
Jon Ola Sand, Norwegen, Executive Supervisor
Pernille Gaardbo, Dänemark, Executive Producer, produziert den ESC 2014
Martin Österdahl, Schweden, Executive Producer, hat den ESC 2013 produziert
Christer Björkman, Schweden, ?
Thomas Schreiber, Deutschland, ?
Aleksander Radic, Slowenien, ?
Nicola Caligiore, Italien, ?

Es fehlen Vertreter unterschiedlicher Generationen, es fehlen unabhängige Vertreter, die für die Interessen des Publikums und der Musiker einstehen sowie Vertreter aus süd- und osteuropäischen Ländern. Seit 2010 werden die Türken aus der Reference-Group ausgeschlossen. Das ist übrigens einer der Gründe, weswegen die Türkei sich komplett zurückgezogen hat.

Im ersten Satz heisst es: „The Eurovision Song Contest is an international coproduction by EBU members.“ Dieser Satz deutet auf die gemeinsame Finanzierung hin, aber auch hier scheitert es mit der Transparenz. Es gibt zumindest in dieser Broschüre keine Information zur Finanzierung, bei meinen Internetrecherchen bekam ich stets andere Zahlen. Fakt ist, dass es um eine Riesensumme geht. Hinzu kommen für die Länder Kosten für den musikalischen Beitrag, für Promo, Anreise und Unterbringung der Delegation etc., was manche Rundfunkstation vor große Probleme stellt. 

In weniger finanzstarken Ländern müssen die Künstler einen Teil der Kosten übernehmen. Bei uns wird das alles stillschweigend von Rundfunkgebühren bestritten. Alles. So bezahlt der deutsche Gebührenzahler ungefragt über Jahre hinweg die größtangelegteste Star-Promo in der Popgeschichte der Nachkriegszeit für die Nichte von Nicolaus Meyer Landrut (FDP), Sinn und Zweck wird nicht mal ansatzweise hinterfragt.

So weit ich in Erfahrung bringen konnte, muss jedes Land eine 6-stellige Teilnahmegebühr entrichten. Einen höheren Teilnahmebetrag zahlen die sog. Big-5-Länder Frankreich, Spanien, Großbritannien, Italien und Deutschland, die damit allerdings den Wettbewerb umgehen und sich gute Finalplätze kaufen (von Rundfunkgebühren). Einen sicheren Startplatz im Finale hat auch das austragende Land (Vorjahressieger), denn deren Rundfunkstation muss durch die Ausrichtung der Show wohl am tiefsten in die Tasche greifen. Allein schon die Vorgabe der Ausrichtung im Folgejahr ist für ärmere Länder eine Killerregel.

Im Regelwerk werden die gekauften Finalplätze ohne weitere Erklärung garantiert: „There shall be six guaranteed places, one for Host Broadcaster,[…] and five EBU-members from France, Germany, Spain, Italy and UK. […] Apart from the six broadcasters with guaranteed places, all participating Broadcasters from a maximum of 40 countries shall compete in one of the Semi-Finals for the 20 remaining places in the final.“ 

In Punkt 1.2 werden die Kriterien zu den Liedern zusammengefasst. Sie dürfen nicht länger als 3 Minuten sein. Und „[Songs] must not have been commercially released before 1 september 2013.“ Sollte diese Regelung gebrochen werden, hat „Executive Supervisor authority to evaluate whether the composition is eligible...“ Bislang war es zudem so, dass man den Beitrag bis zu einer bestimmten Deadline fest zu legen hatte und danach keine Veränderungen am Song mehr vornehmen durfte. Wurde diese Regel für 2014 gar aufgehoben? Immerhin wurden Regelbrüche bezüglich ihrer Deadlines bislang mit hohen Geldbußen belegt.

Das weiss ich, weil gerade Fans westeuropäischer Länder wie die Schießhunde aufpassen, wodurch so manches ärmere Land bis heute in die Negativschlagzeilen geraten ist. Seit 2013 gibt es ein gutes Beispiel, wie parteiisch die Reference Group arbeitet: Als nämlich Deutschland in der Vorentscheidung gleich mehrere Beiträge präsentierte, die vorzeitig veröffentlicht worden waren, hat wohl der Executive Supervisor stillschweigend „evaluated“ und diese Regelung gelockert. Weissrussland hingegen musste sein Lied 2011 auswechseln, weil es schon ein einziges Mal in einer Schulaula vorgesungen worden war. Ähnlich erging es auch der Ukraine 2010 mit Sängerin Alyosha, deren Beitrag auf einer verkümmerten Myspace-Seite unter ihrem Familiennamen Olena Kucher gesichtet worden war.

Fazit: Grundsätzlich sollte die EBU ihre Informationspolitik optimieren statt ihr „Regelwerk“. Das Regelwerk wirft hinsichtlich seines Zustandeskommens und der Finanzierung mehr Fragen auf als es beantwortet. Diese mangelhafte Informationspolitik steht im Widerspruch zu Begriffen wie Strenge, Transparenz und Gerechtigkeit.

Das von der Reference-Group demonstrierte Verständnis von Wettbewerb begünstigt die Interessen einer kleinen Gruppe. Die Big-5-Regel, nach der sich Länder ins Finale kaufen können, ist feige und unfair. Selbst wenn man eine finanzielle Großzügigkeit der 5 Länder unterstellt, bleibt diese Regel dann immer noch ein Selbstbetrug am eigenen Publikum. Dem Publikum in diesen Ländern wird mit gekauften Finalplätzen, geschummelten Statistiken und (in Deutschland) Wahnsinns-Promotion Leistung, Erfolg und Beliebtheit nur vorgetäuscht, im Grunde müssen sie alles mit Rundfunkgebühren finanzieren.

Demnächst
Teil 2 - Das Telefonvoting
Teil 3 - Die Jury 

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