Montag, 1. März 2010

Vorsicht vor Aprikosensteinen

Prunum oder malum Armeniacum ist die botanische Bezeichnung für die Aprikose, in Armenien gilt sie als Nationalfrucht. Feinschmecker denken spontan an Desserts, Marmelade, Sachertorte, Obstwasser, Obstessig, Amaretto und Bittermandeln. Die Bittermandel wird aus dem Samen der Aprikosensteine gewonnen, ist aber wegen des hohen Giftstoffgehaltes mit Vorsicht zu genießen. Um diesen brisanten Aprikosenstein geht es im armenischen Beitrag für 2010 von der Sängerin Eva Rivas. Kurz nach dem Sieg der armenischen Vorentscheidung wurde „Apricot Stone“ prompt schon einige Male zum


Stein des Anstosses
Zunächst erkannte der türkische Komponist Yagoub Mutlu in dem Liedtext eine politische Anspielung auf den Genozid 1915 und forderte eine Disqualifizierung. Dieser Vorwurf wurde vom Manager Hayk Markosyan bereits zurückgewiesen: “The song has nothing to do with the Armenian genocide, and it does not have a political context. The song simply presents the Armenian culture, the Armenian traditions, the apricot, which is just an Armenian fruit and it is the symbol of Armenia, and the thoughts of a young (Armenian) woman who lived far from the homeland for years”.


Auch die in den USA ansässigen Konkurrenten der Vorentscheidung, Emmy and Mihran, ärgern sich über diesen Beitrag. Sie betrachteten es schon im Herbst letzten Jahres als beschlossene Sache, Armenien 2010 in Oslo zu vertreten. Sie erlaubten sich sogar, ihre Teilnahme von einem Ultimatum abhängig zu machen. Im Zusammenhang mit den Streitereien zwischen Armenien und Aserbaidschan schlossen sie sich nämlich Forderungen an die EBU an, für Aserbaidschan eine Geldstrafe oder Sperre zu verhängen. Natürlich weigern sie sich nun, ihre Niederlage zu akzeptieren und gehen von einem manipulierten Ergebnis aus.


Der armenische Journalist Paul Chaderjian, nachdem er den armenischen Rundfunk H1 danach befragte, teilte am 26.02.2010 in Times.am mit: "... they had never heard of this nobody Finnish-Californian who had the audacity to claim she was representing my culture." Er fasst diese Angelegenheit belustig als eine Verschwörung auf und fügt ironisch hinzu: "Let's not try to change our national anthem again, please."


Lt. ESCKAZ betonen Emmy und Mihran ihre Beliebtheit, Glaubwürdigkeit und Professionalität jetzt damit, dass sie z. B. sogar schon vom NDR Anfragen für eine interne Nominierung bekamen.


It is also a song that symbolizes the Armenian Diaspora, to which Eva belongs.

So Eva Rivas und ihr Produzent laut 'Armenienweekly'. So wie Eva Rivas (bürgerlicher Name: Valeriya Reshetnikova-Tsaturyan) ihre armenischen Wurzeln hervorhebt – ½ armenisch, ½ russisch, ihren Künstlernamen übernahm sie von ihrer griechisch-abstämmigen Großmutter – wird im Lied „Apricot Stone“ die armenische Tradition groß geschrieben.

Aber das Lied gar ein Gruß an die armenische Diaspora? Schon höre ich den Unmut westeuropäischer Fans, hatte man doch eigens zur Eindämmung des Diaspora-Votings die Jury wieder eingeführt. Jetzt bringt Armenien den Schachzug, den Appell an die armenische Solidarität IM Liedtext zu kultivieren.


Wer also glaubte, die Migration lasse sich selbst beim ESC den Stempel der Entbehrung und Niederlage aufdrücken, sieht sich eines Besseren belehrt. Man scheint stolz auf sein globales Netzwerk und betrachtet sich als deren Botschafter: „Apricot stone, I will drop it down, In the frozen ground, Let it, let it make its round“.




Für Migranten und Job-Nomaden
Möglicherweise erzeugen die kosmopolitanen Netzwerke der Diaspora mehr Spürsinn für gängige Trends als das alte Europa wahrhaben möchte. Schon den Titel empfinde ich als etwas Besonderes beim ESC. Endlich mal


- keinen Euro-Esperanto „Shalalie Shalala“, "Allez! Ola! Olé!",


- keine Imperative „Shake It“, „Disappear“,


- keine Gutmensch-Botschaft "Peace will come",


- keine narzistischen Selbstbespiegelungen „This is my Life", "This is my night", "This is my voice“.


Der Text lässt Spielraum für Interpretation und Identifikation. Von ihm könnten sich auch neoliberale Job-Nomaden angesprochen fühlen. Die Musik ist für Ethno-Pop auffällig unauffällig, nur der Schluss leitet zu einem ein folkig-souligem Crescendo. Zu Beginn erklingen eine Gitarre und ein Duduk, ein traditionelles armenisches Holzblasinstrument, das aus dem Holz des – wie sollte es anders sein – Aprikosenbaums hergestellt wird.


Was sagt die armenische Diaspora zu "Apricot Stone"?

Hierzu nochmal Paul Chaderjian: "The song has an interesting Armenian – or should we say universal – intellectual theme about returning to one’s roots. I guess that’s not specifically Armenian, though it fits our mindset. [...] But with lyrics like “when I was going to lose my fun and I began to cry a lot,” who in the world can take our art and culture seriously?" Und weiter: "I thought she was singing ‘apricots don’t’ and was confused [...] Par for the course, our Eurovision entrants really need to address their pronunciation and diction."


Und zur Musik: "It is a catchy song, but you can’t call it an Armenian song. It’s Flamenco, it’s Gypsy, it’s Arabic and Turkish and maybe even can be claimed as Greek."


Sein Fazit: "It’s a popuarity contest after all, and we have seven million Armenians in the Diaspora who can call-in and vote.


Just remember what they say about eating too many apricots…"



Paul Chaderjian: Armenia's Road to the European Union is Paved with... Apricot Stones?



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