Fürs mediale Großereignis vermarktet man das Publikum gerne mit. Das Zauberwort heißt „Telefonvoting“, und es wird seit 1997 beim Song Contest eingesetzt. Im Laufe der Jahre haben sich nach und nach alle teilnehmenden Länder von den Jurys verabschiedet.
Durch die Telefonabstimmung wird der Zuschauer ins Geschehen eingebunden und in dieser Rolle ist ihm eine gewisse Verantwortung für das Endergebnis nicht mehr abzusprechen. Sollte man jedenfalls meinen. Im Grunde ist diese Mitverantwortung und partizipierende Produktion von Stars eher Schein, denn die Spielregeln und die potentiellen Verdiener sind top-down klar vorgegeben.
Meiner Wahrnehmung nach hat das Telefonvoting zur Folge, dass sich der Contest immer mehr von der Musik verabschiedet. Dieses Jahr ist das Verhältnis zwischen brauchbaren Songs und Trash-Produktionen zugunsten letzterer schließlich gekippt. Zynische Medien und Organisatoren auf der einen Seite und ein angepeiltes schadenfrohes Publikum auf der anderen Seite sollten sich wohl nur noch ungestört selber feiern. Nichtsdestotrotz hat das europäische Publikum ausschließlich ernsthaft engagierte Teilnehmer auf die ersten zehn Plätze gewählt.
Herrschaftsbeziehungen müssen endlich wieder geklärt werden: Her mit der Jury!
So fordert es mittlerweile ein Teil der westeuropäischen Fans. Denen ist nämlich diese Art Rezipienten-Partizipation mittlerweile verhasst. Das Abstimmungsergebnis wird als unglaubwürdig befunden, reine Effekthascherei fürs Voting hat nur noch Qualitätsverlust zur Folge und ermüdend ist die ständige Genese und Demontage von Wegwerf-Stars.
Immer verbitterter und verbissener kreisen die Diskussionen in der Fangemeinde um sich selbst, als wäre nur noch dies Zweck der Fankultur. Die hitzigen Debatten wiederum dürften für die Organisatoren sehr werbewirksam sein, ab und zu wird mit provozierenden Pressemitteilungen gerne Öl ins Feuer gegossen.
Die unselige Mischung aus Mitbestimmung und Ohnmacht scheint wie ein Teufelskreis empfunden zu werden mit teilweise fatalen Folgen für die gesamte Fan-Kommunikation. Nur zu bereitwillig lässt man sich in seiner Argumentation vor dubiose politische Karren spannen. Und wehe, wer nicht mitmacht. Es werden Fronten gebildet, Sündenböcke gesucht – und gefunden. Der türkische Nachbar, der armenische Immigrant, der Ost-Sympathisant, der säbelrasselnde Russe, der besoffene Bruder, die gesamten Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR usw. usw.
Jenseits von Apokalypse und Euphorie bleibt Ratlosigkeit. Haben Fans DAS gewollt?
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4 Kommentare:
"Dieses Jahr ist das Verhältnis zwischen brauchbaren Songs und Trash-Produktionen zugunsten letzterer schließlich gekippt."
Find ich nicht. Die Zahl der brauchbaren Songs lag doch deutlich höher. Richtig trashig waren im Grunde nur die Lieder aus Irland, Estland, Spanien und - wenn man den Rahmen etwas weiter spannt - noch Lettland. Andere Lieder waren vielleicht "billig" (Malta, Andorra, Tschechien), andere waren eher 'kultig' als trashig (Bosnien z.B.). Aber die Grenzen zieht vermutlich jeder etwas anders.
Ein 100%iges Televoting möchte aber sicherlich niemand zurück. Da ist der Zuschauer erst recht ohnmächtig. Und es gab in den Jahrzehnten davor auch immer wieder Fehlentscheidungen der Juries: Lieder, die viel zu gut bzw. viel zu schlecht abschnitten. Also: bloß die Juries nicht über den grünen Klee loben!
Trash-Produktionen im Sinne von lustlos aufgekocht waren:
Lettland, Schweden, Malta, Weißrussland, Tschechien, Andorra, Slowenien, Griechenland, Spanien, Frankreich, GB und Deutschland.
Geschmacklos aber bemüht waren Estland, Irland, Georgien, Litauen, Rumänien, Kroatien, Polen und Ungarn. Eindeutig zu viel.
Die Diskussion um das Voting nimmt jedes
Jahr an Schärfe zu und die ESC - Fans spielen dabei leider meist keine
positive Rolle : gerade die aus dem Westen. Dabei stimmt es immer noch, dass
gute Songs auch gut ankommen und schwache Songs abgestraft werden. Und die
westlicher - gerade die Big 4 Songs - sind nun mal meist schwach. Haben die
Fans schon die No Angels oder Gracia vergessen ? Wer oder was hätte solche
Acts bepunkten sollen ? Eine bestochene oder taube Jury. Was ich sagen
will - bevor man die Diaspora oder die Immigranten kritisiert, sollte man
zunächst bei sich selbst anfangen. Aber viele Fans sind absolut unkritisch,
wenn es um die eigenen Beiträge oder die geblieben Schlager geht. Ich war ja
einer der wenigen, der von Anfang an diese Charlotte plus diesem schlimmen "
Hero " absolut schrecklich fand ! Dafür wurde ich beschimpft und
beleidigt....dabei habe ich einfach keine rosarote Fan - Brille auf, und
habe mir schlicht vorgestellt, wie diese " Kombination " ( künstliche
Sängerin, künstlicher Song ) auf den normalen Zuschauer wirken muss. Dann
noch die ohnehin wenig attraktive Sängerin in ET - Braun....ganz grässlich.
ABER nicht nur die Fans, sondern auch die Jury unterstützten diese
offensichtliche Scheußlichkeit. Also ist es logisch, dass sich die Fans
bestätigt fühlen, und nach der Jury schreien : eine Jury, die den ESC in den
90er Jahren gegen die Wand fuhr und die man - gerade auch beim NDR - gar
nicht schnell genug loswerden konnte. Aber sobald eine Regel anderen nutzt,
geht die ESC- Welt unter. Ich finde die letzten Gewinner vollkommen in
Ordnung und man könnte nach dem Fan - Gejammer ja fast glauben, Russland
oder der Balkan hätten jedes Jahr den Sieg unter sich ausgemacht. Eine
Dominanz, wie sie Irland zu Zeiten der Jury inne hatte, kann ich nicht
erkennen ! Man sollte sich also auch bei diesem Thema von den liebgewonnenen
Doppelstandards freimachen und etwas Demut und Selbstkritik üben. Ich
hoffe, dass die EBU dem Druck nicht nachgeben und das Voting nicht ändern
wird. Wobei einige Fans ja auch so " schlau " sind, im Finale nur das Voting
der teilnehmenden Länder zu fordern und erst später herausfinden, dass
Russland dann trotzdem gewonnen hätte und Deutschland & das UK hingegen ohne
Punkte dagestanden hätten. Aber so sind einige Fans eben....tragisch, aber
es gibt ja zum Glück auch immer positive Ausnahmen :)
... und nu? Der Kommentar mag ja zumindest teilweise die Lage einigermaßen richtig beschreiben. Aber er bietet leider keinerlei Lösungsansätze. Diese rein destruktive Kritik ist mir zu wenig. Was schlägt die Autorin stattdessen vor? Das würde ich gern mal im nächsten Blog-Eintrag lesen.
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