Montag, 25. Dezember 2017

Beim 56. Festivali i Kenges gewinnt das Lied „Mall" von Eugent Bushpepa


Am 23.12.2017 fand in Albanien zum 56. Mal das alljährliche Finale des Festivali i Kenges statt. Das legendäre Festival gab es auch schon hinter dem Eisernen Vorhang unter Enver Hoxha. Dies zwar mit offiziell strengen Vorgaben zum albanischen Liedgut, aber in seiner Ausführung nicht weniger unterhaltsam als die Festivals im Westen. Am Konzept hat sich bis heute nicht viel geändert.  

Da in Albanien das damalige Angebot an Unterhaltung sehr überschaubar war, schauten eben alle Albaner dieses beliebte Festival und sangen seine Lieder; die Musiker hatten ihr festes Einkommen. Seit Öffnung des Landes müssen sich auch Verfechter der albanischen Musikkultur natürlich mit der Übermacht anglo-amerikanischer Konkurrenz auseinander setzen. 

Audible States 
Nach dem Mauerfall machte man sich in Albanien natürlich auch Gedanken über die Transformation des albanischen populären Liedes. 2001 riet die George-Soros-Foundation den Albanern zwar, nur noch die klassische Musik zu subventionieren und die Popularmusik vollständig dem freien Markt zu überlassen, aber das ist natürlich nur für die amerikanische Musikindustrie von Vorteil. Das Festivali i Kenges blieb erhalten und wird weiterhin vom staatlichen Rundfunk Radio Televizioni Shqiptar (RTSH) mit u. a. Hochschuldozenten und Profi-Musikern gestemmt. Sie scheinen auf ihre Art den erfolgreichen Anschluss an Europa und an die westliche Welt hörbar machen zu wollen, dies ganz besonders seit 2004, als Albanien zum ersten Mal den Sieger des Festivals zum Eurovision Song Contest schickte. 

Seitdem müssen die albanischen Musiker, Komponisten und Produzenten einen Spagat vollziehen. Zum einen möchten sie Albanien in Europa als modernes Land promoten, dies allerdings ohne die eigenen Werte aufzugeben. Letzteres funktioniert nur, wenn wiederum die Kultur vor den Bedingungen des freien Marktes geschützt wird. Dass dies allen Teilnehmern bewusst ist, beweist das erste Interview mit dem diesjährigen Sieger am Finalabend, denn er weist sogleich auf diesen Spagat hin. 

Bei den Verheißungen westlicher Popularmusik ist Vorsicht geboten 
Ein Rock- und Punkmusiker, der die Zeit des Umbruchs als Jugendlicher miterlebte und prägte, war Bojken Lako. Unvergessen sein Musikclip „Merre Lehte“, in dem er Archivaufnahmen aus dem für uns verschlossenen Albanien verarbeitete. Bild- und Klangerlebnis führen zu einer bemerkenswerten Doppeldeutigkeit: Man sieht das Ergebnis der Massengleichschaltung in einer Diktatur und dazwischen den selbstvergessenen, ausrastenden Sänger, dessen aufbrechende Rockklänge wiederum erschreckend gut zum Drill der Diktatur passen. 

Rückblick: Bei der 48. Ausgabe des Festivals in 2009 präsentierten Bojken Lako und die Band Adriatica mit dem Rocksong „Love Love Love“ auf wunderbare Weise den gewünschten „Spagat“, indem die Bläser ab Minute 01‘27 auf ein Volkslied aus Albanien von Lucie Miloti referierten und ab 03‘00 eine Sängerin den albanischen Gesangsstil präsentierte. Für den ESC entschied man sich aber dann für Juliana Pasha und ihrem austauschbaren Popsong, mit dem sie beim ESC letztendlich auf dem 16. Platz landete. 2015 war die Spanne zwischen nationalem und internationalem Anspruch so weit auseinander gedriftet, dass das Siegerlied des Festivals für den ESC ausgetauscht werden musste. 

Als ich Bojken Lako dieses Jahr als alternden Rockstar auf der Bühne sah, war ich sehr berührt, mit seinem Song "Syte e shpirtit" (Die Stimme des Geistes) präsentierte er sich als abgeklärter Künstler. Ich hätte mich gefreut, wenn Bojken Lako mit diesem melancholschen Lied und seiner gebrochenen Stimme gewonnen hätte, aber ich sehe ein, dass dieser Beitrag nichts für die kindische Spaßgesellschaft und die genormten Hör- und Sehgewohnheiten des westlichen TV-Mainstream ist. 

Mit Eugent Bushpepa gewann ein etwas jüngerer Rockmusiker, der sich schon allein aufgrund seiner fantastischen Stimme um die populäre Musik in Albanien verdient gemacht hat. Seit 2007 bekannt hat er schon in verschiedenen Formationen gespielt und auch als Vorband namhafter Rockbands mitgewirkt. Mit seinem ESC-Beitrag wird er sich genau wie seine VorgängerInnen allerdings in sehr weich gespülter Form präsentieren.


Wie alle anderen vor ihm, muss er sein Siegerlied für den ESC überarbeiten (kürzen), und es steht zu befürchten, dass das Lied vom Albanischen ins Englische übersetzt wird. Auf Facebook kann man jedes Jahr mitverfolgen, dass diese ständige Anpassung von vielen ESC-Fans kritisiert und bedauert wird, so dass man sich mitunter fragt, ob diesen Anpassungen eine Fehleinschätzung oder Zwang voraus geht. Vielleicht gibt es aber auch noch einen weiteren Aspekt, der bei der Komposition eines albanischen Liedes für das Festival i Kenges einerseits und für den ESC andererseits berücksichtigt werden muss, so dass aus dem Spagat ein Dreieck wird: 

Finale ja, aber bitte nicht gewinnen 
Denn dann müsste Albanien den ESC im Folgejahr ausrichten. Mir persönlich würde es sehr gut gefallen, wenn sie den Contest genauso darbieten würden wie ihr legendäres Festival. Die aufgemotzten trickreichen Shows brauchen keine Musik und umgekehrt, gute Musiker brauchen auch diese Shows nicht. 

Nostalgie oder nun doch Opfer des freien Marktes? 
Überhaupt traten dieses Jahr viele ältere, auch den ESC-Fans bereits bekannte Sänger aus Albanien auf. Dafür verzichtete man auf die ESC-Sänger aus dem Ausland, die sonst gerne als Pausenact eingeladen wurden. Während man in vorangegangenen Jahrgängen gerne mit unterschiedlichen Genre wie R&B, Hiphop, Elektro, Folk oder Jazz experimentierte, konzentrierte sich diese Ausgabe tatsächlich mehr auf Chanson und Ballade. Das Thema dieser Ausgabe war auch für Außenstehende sofort hör- und sichtbar, nämlich Italien und das San Remo Festival.


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