Sonntag, 19. Juni 2016

Der NATO Song Contest ist kein Wunschkonzert

Wahrscheinlich werden Xavier Naidoo, Ann Sophie und Jamie-Lee Kriewitz ihre Eurovisions-Niederlagen nie überwinden. Jamie-Lee wurde gleich nach dem Finale krank, Ann Sophie und Xavier Naidoo melden sich immer wieder zu Wort, um das eine oder andere gerade zu rücken.  

Mitgefangen, mitgehangen
Erst nach dem Scheitern Kritik zu üben ist überflüssig. Was bleibt, ist die Pflege des Scheiterns, wie es die in der Vorentscheidung rausgekickte Alexa Feser 2015 in ihrem Song „Das Gold von morgen“ so wunderschön besang.


Keiner der Teilnehmer scheint vorher zu überprüfen, auf was sie sich überhaupt einlassen 
Überbehütet lassen sie Institutionen, Konzerne und Medien über ihr Schicksal entscheiden und glauben, es sei das Publikum. So wie Lena sich ihren rasanten ESC-Erfolg nicht erklären kann, können sich die anderen ihre Niederlage nicht erklären. Selbst der verantwortliche NDR lässt sich von Qualitätsmedien die falschen Fragen stellen und schwankt wie Peter Urban - mittlerweile weit über sein Rentenalter hinaus - jedes Jahr nach dem ESC in deutschen Talkshows nur zwischen Überwältigung und Ratlosigkeit. 

Dass im Showbusiness das Publikum beschwindelt wird, ist nichts Neues
Neu ist vielmehr, dass sich das Publikum über den Selbstschwindel der Promis wundert. Seit Jahren sind sich Fans zu 99% einig, dass die gesamten Lieder in den Vorentscheidungen und beim ESC bestenfalls als B-Seite einer Single taugen. Stars hingegen wollen damit in einem Wettbewerb was reißen. Seit Jahren frage ich provozierend, welche der Damen sich denn gegen die Wand fahren lassen möchte. Dieses Jahr haben auch Fans beispielsweise von Wiwibloggs Jamie-Lee nicht den Hauch einer Chance eingeräumt. Dieser Aufrichtigkeit entgegnen Stars mit 

Besinnungslosem Grinsen und soldatischen Phrasen
"Ich lerne bereitwillig und viel, ich möchte die Erfahrung nicht missen,  es ist eine so große Ehre für mich, mein Land vertreten zu dürfen, ich bin meinem Land so dankbar, dass es mich erwählt hat…"

Und dann darf BILD sie heimlich filmen, wie sie nach ihrer Niederlage vermummt und beschämt in IHR Land zurückkehren.

Dabei hatte Jamie-Lee vorher schon die Rolle der Verliererin und lag wochenlang bei den Wetten um den letzten Platz auf Platz 1. Im Gegensatz zu Lena Meyer-Landrut wurden weder Cascada, noch Elaiza, Ann-Sophie oder Jamie-Lee von älteren männlichen Abgreifern umschwirrt. Auch das ist ein sicherer Hinweis darauf, dass es nichts zu gewinnen gibt. Und wenn ohnehin alle die Niederlage schon im Voraus planen, warum verzichten die Damen nicht einfach auf ihren Auftritt? Warum machen Stars überhaupt zu den Bedingungen eines Big-5-Landes mit, lassen sich einen Finalplatz „kaufen“, wenn sie sich doch damit außerhalb des Wettbewerbs bewegen? 

Den naivsten Spruch brachte nach Jamie-Lee‘s Niederlage ausgerechnet Xavier Naidoo: "Ich hätte mich so reingekniet".  Und nochmal: Für wie blöd hält man uns? Wenn das Ergebnis lange vorher bekannt ist, schickt die Musikindustrie nicht eines ihrer besten Pferde, lieber profiled es dieses Pferd geschickt als enfant terrible mit dem willkommenen Nebeneffekt, mit Reichsbürger- und Nazi-Gelaber gleich ein ganzes Land einschüchtern und auf eine falsche Fährte führen zu können. Und das Ergebnis – bitteschön – ist jedes Jahr vorher bekannt. 

Wer früher was auf sich hielt, hielt eine kritische Distanz zum Showbusiness
Heute überbieten sich Stars, Alpha-Fans und Medien geradezu, das Show-Business und ihren unermüdlichen Einsatz als Teil eines unanfechtbaren Sinnsystems zu verteidigen. Lieber lassen sich Stars freiwillig in Dschungel-Camps entsorgen, als dieses System zu hinterfragen. Ich finde, wo selbst "American Idiot" 2016 eingestellt wird, wäre es an der Zeit einfach wieder davon auszugehen, dass Wettbewerbe wie u. a. der ESC Scripted-Reality-Sendungen mit vorgefertigtem Drehbuch und festen Rollen sind.

Das würde zwar 20 Jahre Promi-Zauber um Transvestiten, Soap-Stars und geknechtete Ostblock-Sieger sowie die anti-intellektuelle Schwulenberichterstattung zum ESC ad absurdum führen. Aber irgendwann muss doch auch mal gut gewesen sein.


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