Sonntag, 2. Dezember 2012

Der Junior Eurovision Song Contest 2012

fand gestern am 01.12.2012 in Amsterdam statt. Dies mit einer überschaubaren Anzahl von 12 Teilnehmerländern. Ermüdungstendenzen gegenüber Castings und Conteste und zunehmend eingeschränkte Budgets machen selbst dem erwachsenen Eurovision Song Contest zu schaffen. Beim Kindercontest kommt noch die generelle Infragestellung des pädagogischen Wertes hinzu: „Darf man den Kleinen so einen Wettbewerb und so eine Show überhaupt zumuten?“ 

Die Bedenken gelten in Deutschland sonderbarerweise nur für die U-Musik, in der E-Musik können die Pianisten und Violonisten gar nicht jung, die Ansprüche gar nicht hoch genug und die Wettbewerbe nicht hart genug sein. Popmusik, TV-Conteste und -Castings werden in Deutschland hingegen grundsätzlich als „Unterschichtskultur“ definiert, deren Qualität wird am jeweiligen Gelaber der Juroren gemessen. WAS da so an Mist gesungen wird, nämlich nur die anglo-amerikanischen Charthits des Formatradios, wird nicht hinterfragt. WIE gesungen wird, wird nur nach globalen Geschmackskriterien beurteilt. Warum konzentrieren die sich eigentlich nie auf europäische Gesangstradition? 

Zurück zum JESC: Die Show führt die Leistungsfähigkeit und Kreativität der Kinder zwischen 10 und 15 Jahren vor Augen, die ja auch in der Schule bewertet werden. Darüber hinaus gibt sie auch einen Einblick in die jeweiligen musik- und medienpädagogischen Konzepte einzelner Länder, die – und jetzt kommt es - grundsätzlich vom Verkaufsinteresse der Medienindustrie getrennt sein sollten. Meiner bösen Vermutung nach ist der Zuspruch dieses Contestes in Deutschland u. a. deswegen so gering, weil der Musikindustrie der offizielle Zugriff auf Kinder (noch) verwehrt wird. 

Zum anderen hat die musische Grundausbildung von Kindern in unserem Land keine große Lobby. Musik verschwindet zunehmend vom Lehrplan und wenn der Industriekomplex um die Musik z. B. das Singen im Kindergarten unter seine Kontrolle bringt, unterdrückt und finanziell ausbeutet, bekommt es kaum jemand mit. 

In Osteuropa hingegen scheint, wie der JESC andeutet, die Pädagogik und das Musikbusiness noch anders aufgestellt zu sein. Dank einiger dieser Beiträge habe ich gestern belustigt feststellen müssen, dass die TV-Conteste mit ihren zusammengewürfelten Bands, den schlichten 3-Minuten-Popmusikstücken, schrillen Outfits und Performances wesentlich besser in die Kinderwelt als in die Erwachsenenwelt hineinpassen. Deswegen stellt sich bei mir die Frage nach dem moralischen Wert anders herum: Darf man uns den millionenschweren, regressiven TV-Kitsch mit erwachsenen, teilweise talentbefreiten Teilnehmern bedenkenlos zumuten? 

Beispiel Georgien, die für meinen Geschmack ihr Handwerk meisterhaft beherrschen. Die georgischen Funkids machten mit Funky Lemonade den 2. Platz. Was sie an Verrücktheit auf die Bühne brachten, sieht man auch häufig beim erwachsenen Eurovision Song Contest. Wenn aber die Funkids frech, schmissig und amüsant rüber kamen: 



wirkte der Georgier Anri Jokhadze beim ESC 2012 eher überdreht bis grenzwertig:



Der Knaller ist aber die urkainische Siegerin Anastasia Petryk. Bei der Kinderjury auf Platz 2, wurde sie mit Hilfe der TV-Zuschauer auf den ersten Platz gesetzt. „Wie viel junior ist das noch“ fragte der niederländische Kommentator. Warum? 

Als ich ihr selbst geschriebenes Lied "Nebo" (Himmel) zum ersten Mal hörte, befürchtete ich auch, dass es für einen TV-Contest zu anspruchsvoll und für Kinder zu erwachsen sein könnte. Die 10-jährige Anastasia, die aussieht wie 6, strotzte allerdings vor Selbstsicherheit und schmetterte ihr Lied so atemberaubend leicht und locker, dass sie so manchen erwachsenen Musiker beschämen dürfte. Ich fand es klasse:



Verglichen mit der deutschen Siegerin Lena Meyer-Landrut kommen mir Zweifel am Verantwortungsgefühl und der Medienkompetenz der ARD. Die deutsche Krönung aller Castings, das Zugpferd des amerikanischen Major Labels Universal Music, das Testimonial einer Kooperation von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk, Wirtschaft, Presse, Kirche und Politik präsentiert sich nach 2 Jahren „Reifeprozess mit Gesangsunterricht und Stimmbildung“ im ARD Morgenmagazin mit schiefer Kinderstimme und primitivem Kinderlied wie eine untalentierte Dreijährige. Und dann verhunzt sie mit ihrem Gejaule auch noch die Sesamstraßenmelodie .

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