Ein Interview mit Patrick Wagner, Geschäftsführer von Louisville Records in Berlin
Dass Deutschland beim Eurovision Song Contest alljährlich Niederlagen einstecken muss, ließe sich verkraften, schließlich ist es nicht einfach, sich gegen 44 teilweise hervorragende Beiträge zu behaupten. Dass aber nach jeder Niederlage stumpf mit gleichem Konzept weiter gemacht wird, ist nach Jahren langweilig bis unfassbar.
Wir von der Regionalgruppe Berlin haben uns daher vorgenommen,
als Alternative eine eigene Vorentscheidung im Internet zu starten.
Um die Auswahl einzuschränken und der Beliebigkeit zuvorzukommen, haben wir uns auf die Berliner Musikszene beschränkt. Ja, richtig gelesen: Auswahl musste eingeschränkt werden. Die erste – zuvor nicht für möglich gehaltene – Erfahrung war: Das Interesse der Musiker an einer Contestteilnahme ist riesig! Viele träumen davon, einmal auf der Bühne des Grand Prix stehen zu dürfen.
Damit aber Musiker sich auf ihre Musik konzentrieren können, geben sie das Business ab an ein Label. Und diese Musiklabel galt es von unserer Idee zu überzeugen. Aber auch hier rannten wir z. T. offene Türen ein. Eines der interessierten Label ist Louisville Records aus Berlin mit Geschäftsführer Patrick Wagner.
Patrick: Seit ca 5 Jahren leite ich mit meiner Partnerin und Ehefrau Yvonne Wagner das unabhängige Berliner Label Louisville Records. Meine Karriere im Musikgeschäft hatte Anfang der 90er als Gründer & Geschäftsführer von Kitty-Yo begonnen, und ich war zwischenzeitlich bei Universal Music als A&R angestellt.
Frage: Der NDR behauptet, die großen Stars scheuen eine Teilnahme aus Angst vor einer möglichen Niederlage. Ist die Angst dieser sonst so großen Stars berechtigt?
Patrick: Große Künstler haben mit Sicherheit keine Angst vor einer möglichen Niederlage beim Eurovision Song Contest, sie scheuen eher zu Recht das niveaulose Umfeld im Vorfeld in Deutschland – in diesem Zusammenhang möchte sich kein Ernst zu nehmender Künstler präsentieren. Für viele wäre es aber nach wie vor ein Jugendtraum und Karrieretraum beim Grand Prix mit einem eigenen Song aufzutreten.
Frage: Sind die großen Labels und die Masse ihrer Produkte wirklich so akzeptiert, wie Formatradio, Charts uns vorgaukeln? Mir scheint, sie sind bemüht einen bestimmten Musikgeschmack zu bedienen und verrennen sich manchmal...
Patrick: Das muss man leider bejahen, große Plattenfirmen hecheln fatalerweise mehr denn je mit einer antiquierten Hitvorstellung den Radioredakteuren hinterher. Das führt in der Regel dazu, dass wir in Deutschland einer monokulturellen Radiolandschaft ausgesetzt sind, von der sich Hörer und Käufer zurecht mit Grausen abgewandt haben. Im Vergleich zu England, Skandinavien und Benelux hängt man hier auf jeden Fall hinterher.
Frage: Selbst wenn ein Major Label einen potenziellen Sieger aufbauen würde, müsste er m. M. nach am Konzept des NDR scheitern. Der Big-4-Status (mehr einzahlen gegen Wettbewerbsvorteil) macht die Teilnahme zur Farce, Musiker werden von Kollegen und Ausland nicht ernst genommen. Siehst du das auch so?
Patrick: Ich denke nicht, dass Künstler vom Format Maximilian Hecker, Polarkreis 18 oder Jan Delay irgendeine Unterstützung außerhalb ihrer Kunst nötig hätten, um sich langfristig durchzusetzen. Inwieweit dieses Finanzdoping sich sogar negativ auswirkt vermag ich nicht zu beurteilen. Wichtig ist vielmehr, dass man über mehrere Jahre mit ernstzunehmenden Künstlern und Songs antritt, und nicht mit abgehalfterten Produzenten Projekten wie zuletzt - dann wird man mittelfristig auch wieder ernst genommen.
Frage: Sollte der Telefonvoter entscheiden oder eine Jury? Oder beide?
Patrick: In erster Linie muss es wieder darum gehen, durch Qualität und Nachhaltigkeit Fans der Künstler wieder für die Idee des Eurovision Song Contests zu begeistern, sie frühzeitig (als Voter und Meinungsmacher) mit ins Boot zu holen – Gleiches gilt natürlich auch für den Fanclub – der nicht einfach drittklassige Vorauswahlen vorgesetzt bekommen möchte, um dann später als Stimmvieh zu agieren. So startet man schon lange keine Welle mehr. Es geht schliesslich nicht nur um Erfolg, sondern in erster Linie um Identifikation beim Eurovision Song Contest.
Mittwoch, 15. Juli 2009
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