Der Auftritt von MC Fitti beim Bundesvision Song Contest war eine
Eurovisions-reife Überraschung. Bis gestern habe ich ihn nur als einen
Spaßvogel wahrgenommen, der Konzerte in Trams und Sightseeing-Busse gibt
und in stundenlangen Radiointerviews immer wieder sein eigenes Lied
hören möchte - „Bitte spiel es doch noch mal, oh, das ist so schön,
nicht wahr?“ - und damit das Formatradio ad absurdum führt.
Bei seinem gestrigen Auftritt waren Lied, Lightshow und Performance
stimmig. In seinem Outfit erinnerte er mich an Sébastian Tellier, der
2008 für Frankreich angetreten war.
Sympathisch auch, wenn er zu seiner Konkurrenz auf die Bühne sprang und für sie warb.
„MC Fitti, was wirst du machen, wenn du gewinnst?“
„Ich werde mit Bosse tauschen.“
Der (zufällige?) Witz dieser Antwort erschloss sich mir erst, als
Bosse tatsächlich gewann. Den ganzen Abend hatte MC Fitti den Wettbewerb
auf angenehme Weise untergraben. Den Rest erledigte die Technik, denn
man konnte beobachten, wie die Punkte visuell schneller zum jeweiligen
Kandidaten huschten, als die Moderatoren der Radiostationen sprechen
konnten. Warum auch nicht? Oder nimmt irgendjemand diese Wettbewerbe
noch ernst?
Dumm ist das für den Zweitplatzierten Johannes Oerding für Hamburg,
denn der war genauso gut wie der Erstplatzierte Bosse für Niedersachsen.
Vielleicht war es ja die außergewöhnliche Tanzeinlage, der Bosse seinen
Sieg zu verdanken hat, sein Outfit kann es jedenfalls nicht gewesen
sein.
Ich hatte bei diesem BuViSoCo den Eindruck, einer Big-Brother-Show in
einer Riesen-WG zu folgen. Die Teilnehmer präsentierten statt Wettkampf
brüderliche Geschlossenheit, und sie unterschieden sich lediglich im
Ausmaß ihrer Schruddeligkeit. Das Gute daran war, dass man so nicht
Äpfel mit Birnen vergleichen musste. Und es war vorher schon klar, dass
die routinierten Stars auf der linken und die unerfahreneren Stars auf
der rechten Seite der Tabelle landen würden. Was aber Professionalität
und Unterhaltungswert der Show betrifft, ist Raab damit weit unter das
Niveau der diesjährigen Vorentscheidung der ARD gefallen, die er
ursprünglich toppen wollte. Die war abwechslungsreicher. Wenn er immer
noch damit wirbt, dass junge deutsche Musiker nur bei ihm die Chance
eines TV-Auftritts bekommen, möchte ich da ein großes Fragezeichen
setzen.
Stattdessen frage ich mal provokativ, ob es in Deutschland immer noch
keine Behinderte oder keine Menschen mit Migrationshintergrund
beispielsweise aus der Türkei oder dem Iran gibt, die Musik machen. Die
einzige dunkelhäutige Sängerin Luna Simao, die für Schleswig-Holstein
einen guten 6. Platz holte, war durch ihr Alter (17 Jahre) leicht
„gehandicapt“. Sie durfte nämlich nach 23:00 Uhr nicht mehr auf die
Bühne. Diese Artigkeit wurde peinlich, als zum Schluss alle auf der
Bühne standen, und nur sie im Zuschauerraum bleiben musste. Was sollen
Menschen denken, die ohne deutsche Sprachkenntnisse diese Show
verfolgen?
Als Eurovisions-Fan verfolgt man nämlich gerne Vorentscheidungen
anderer Länder, und da werden die eben genannten Gruppen durchaus
integriert. Der einzige Deutsche, der bislang Behinderte und Migranten
einen internationalen ESC-Auftritt ermöglicht hat, war übrigens Ralph
Siegel – und das liegt viele Jahre zurück. Weder Raab noch Guildo Horn
(Musiktherapeut für Behinderte) noch der NDR haben daran etwas geändert.
Im Gegenteil.
Genau wie beim Bundesvision Song Contest werden auch bei der
Deutschen Vorentscheidung wie beim ESC Musik und Musiker immer mehr zur
Nebensache, stattdessen rücken sich zunehmend die Organisatoren in den
Mittelpunkt, die nur noch auf den Wettbewerb und seinen
Abstimmungsmodalitäten und -ergebnissen herumreiten.
Und genau deswegen wünsche ich mir zur allgemeinen Entkrampfung
endlich mal wieder einen Spaß-Act aus Deutschland beim ESC, und der
könnte MC Fitti heißen.
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