Sonntag, 30. September 2012

Bundesvision Song Contest – Provinz-Kirmes mit Autoverlosung

Sollte man den deutschen Bundesvision Song Contest zur Vorentscheidung für den internationalen Eurovision Song Contest erheben? Jjjjja, aber die Sendung muss besser werden. Die Idee eines BuViSoCo finde ich gut, aber man merkt schon beim Zuschauen, dass der Anlass zu dieser Idee, nämlich einfach nur mal gegen den altehrwürdigen ESC anzustinken, nicht 8 Jahre wiederholbar ist. Ergebnis ist, dass Raab sich selber, seine kreischenden Claquere und die gesamten Musiker an die Werbewirtschaft und die Musikindustrie verkauft. Und letzteren sind schon lange Mut und Ideen abhanden gekommen. 

Alle müssen sich wie Mallorca-Animateure ins Zeug legen, um für die Autoverlosung, das Tefefonspektakel und die unendlich langen Werbepausen einen vordergründig spaßigen Rahmen zu bieten. Dadurch wirkt die unfreie deutsche Musikszene wie vom Gemeindevorsteher Raab auf einer Provinz-Kirmes vorgeführte Gymnasial-Abschlussklasse. Unprofessionell, bedrückend, alternativlos, aber genau das ist der Erfolg und die viel beschworene Cleverness eines Stefan Raab - und mehr ist es nie gewesen: Geschmiert. 

Ja, aber... 
Die Idee, 16 Acts spaßeshalber auf verschiedene Bundesländer zu verteilen und gegeneinander antreten zu lassen, finde ich nach wie vor unterhaltsam. Aber etwas mehr Abwechslung in der Musik und seiner Präsentation könnte nicht schaden. Um nicht nur schlechten Gesang zu bieten, sollten sich einige Bundesländer ruhig Verstärkung aus anderen Genres oder dem „europäischen“ Ausland holen. Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft, und die hier präsentierten, jungen deutschen Musiker scheinen nicht mehr zu wissen, was Singen und gute Unterhaltung ist. 

Auch die kreischende Abstimmung ist eine Farce. Länder können für sich selber stimmen und bekannte Musiker stehen ohnehin über dem Wettbewerb, da sie aus Gründen der Industrielogik einfach nicht abstürzen dürfen und deswegen als Zugpferde für Promo benötigt werden. Mit dieser Begründung verteidigte zumindest Stefan Raab die Sieger. Aber reicht es dann nicht völlig aus, nur die 12, 10 und 8 Punkte öffentlich anzuzeigen? Wer bei so einer Abstimmung hinten landet, muss man nicht wissen. 

Dass dann schließlich Zugpferde wie Xavas gewinnen, finde ich im Zusammenhang mit dieser Geschäftslogik gerade noch ok. Immerhin haben sich Kool Savas und Xavier Naidoo schon für die deutsche Musikszene verdient gemacht, zudem fand ich ihren Vortrag gelungen! Wer sich also bei so einer Sendung zum Mitkreischen hinreissen lässt, braucht das Ergebnis nicht auszubuhen. 

Man merkt immer mehr, dass die Musikindustrie das TV mit seinen Contesten, Casting-Shows und abgerichteten Moderatoren wie Bohlen und Raab als letzten Strohhalm begreift, ohne selber Impulse zu geben. Rein musikalisch oder kulturell führt das offensichtlich ins NICHTS. Dadurch erklärt sich mir auch das schwer zu formulierende Unbehagen beim Zuschauen. Fazit: Ohne unabhängige Förderung gibt es keine Kultur. 

Und bei dieser Gelegenheit möchte ich meinen persönlichen Sieger unseres antikommerziellen Free! Music! Contest 2012 der Musikpiraten präsentieren. Das hält durchaus einen Vergleich mit Xavas stand: 

Q.AGE mit Final Goodbye  (stehen in Liste an dritter Stelle)




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Montag, 17. September 2012

Mordmäßige Konzepte II - Kampf der Kulturen

Kampf der Kulturen... Hinter dieser verschwörerischen Aussage verbirgt sich nicht viel mehr als ein Kampf um die Kohle, ein schnöder Verdrängungswettbewerb. Die Musikindustrie scheint mit dem Eurovision Song Contest auch den europäischen Chauvinismus als Verkaufsstrategie für sich entdeckt zu haben und findet auffallenderweise gerade bei Deutschen und Schweden willige Vollstrecker.

Entdemokratisierung
Die Jury wurde von Deutschen mit einer Begründung wieder eingefordert, die vor allem solche Länder diskreditiert, die oft mit namhaften Musikern antreten und auf eine eigene lebendige Musiktradition aufbauen. Dies sind die Türkei, die Balkanländer, Russland und die ehemaligen Sowjetrepubliken. Ihr Erfolg sei Betrug, hieß es, sie würden nur von ihrer Diaspora profitieren. Die Diskreditierungen gehen mittlerweile soweit, dass man auch als deutscher Fan schon zur Unperson werden kann, wenn einem die Lieder dieser Länder gefallen.

Dass diese „Zigeunermusik“ auch außerhalb des Contestes erfolgreich ist (Balkan Beat), wird verleugnet. Dass auch westeuropäische Länder sich beim Contest gegenseitig unterstützen, wird genauso unterschlagen. Stattdessen wurde es als Werbe-Gag hervorgestrichen, wenn deutsche Touristen aus Spanien, Polen, Österreich, Schweiz oder den Niederlanden für Guildo Horn anriefen. Fazit: Touristen haben beim Contest mehr Wahlrecht als Migranten.

Sackgassenhauer
Seit der Wiedereinführung der Jury putzt sich das amerikanische Universal Music (aber nicht nur sie) gerne hervor und zeigt sich für eine ganze Reihe von Ländern verantwortlich. Es kann auf diese Weise als Jurymitglied der verschiedenen Länder sogar seine eigenen Stücke bewerten. Den Rest dürfen die Schweden erledigen, die von der Unerfahrenheit und der finanziellen Misere einiger Länder profitieren. Von 26 Beiträgen wurden dieses Jahr ca. 10 von Schweden produziert. Von europäischer Musik und einem europäischen Wettbewerb kann also schon keine Rede mehr sein. 

Jüngstes Beispiel die Frage im NDR-Blog, wie ein guter Siegertitel beschaffen sein muss. Was für ein Zufall, dass die Lösung für einen Siegertitel einen vordergründig zypriotischen Beitrag von Ivi Adamou hervorhebt: "Sie schliddert mit ihrem Titel "La La Love” durch die skandinavischen (vornehmlich schwedischen) Radiocharts". Diese schwedische Promotion muss nicht verwundern, da es ja eine dieser zahlreichen schwedischen ESC-Produkte ist. Andererseits: Die Länder haben schon für ihre Teilnahme einen recht hohen Obulus abzudrücken. Wenn ihnen dann nichts Besseres einfällt, als sich ausgerechnet von Schweden einen teuren Song zu kaufen, um ihn dann 2013 in Schweden zu präsentieren, ist ihnen ohnehin nicht zu helfen.

Fließbandarbeit
Aber sie kriegen den Hals nicht voll. Neuerdings setzen sich die Verantwortlichen aus Deutschland und Schweden dafür ein, alle Teilnehmerländer vorab zu einer Vorentscheidung zu verpflichten. "Im Lenkungsausschuss des ESC, in dem u.a. die ARD (mit Thomas Schreiber), aber auch Christer Björkman (als gewähltes Mitglied) vom schwedischen Fernsehen und Bruno Berberes vom französischen Fernsehen Mitglied sind, war im März beschlossen worden, dass ESC-Länder keinen Kandidaten mehr intern auswählen dürfen. Wer beim ESC performt, muss aus einer Vorentscheidung hervorgegangen sein", so ist es auf der NDR-Seite zu lesen. Noch scheitert diese Vorgabe am Protest der Franzosen.

Die Folge wären in allen europäischen Teilnehmer-Ländern eine Serie von Castingshows mit wahrscheinlich Straßenpassanten (aus Mangel an Musikern) ohne eigene Lieder, die dann gnädigerweise die anglo-amerikanischen Charts rauf und runter singen dürfen. Was für ein lukratives Geschäft. Für Deutsche hieße dies dann wohl eine Wiederaufnahme der Kooperation mit Pro7. Irgendwie muss der marode Privatfunk ja auch mitfinanziert werden.

Krieg
Bei Thomas Schreiber vom NDR gewinnen grundsätzlich nicht Musiker, Komponisten und Autoren, sondern Länder. "Wichtig war auch die Wiedereinführung der Jurys. Das kann man daran sehen, dass Norwegen und Deutschland gewonnen haben", so Schreiber in einem Interview aus 2011. Die Aufgabe der Jury ist es also, nicht über Musik zu urteilen, sondern bestimmte Länder zu pushen... Im gleichen Interview auch noch mal eine Bestätigung für die Durchsetzung anglo-amerikanischen Einheitsbreis gegen musikalische Traditionen: "Wir haben schon das Ziel, aus der Ironisierung und dem rein folkloristischen Element herauszukommen." Ironie also auch verboten? Und überhaupt: Wer ist "wir"?

Aber Thomas Schreiber hat sich seit 2011 noch gesteigert. Mittlerweile ist für ihn der Contest kein Musikwettbewerb, sondern eine Chartliste der schönsten bis scheinheiligsten Demokratien. Nach seinem Verständnis muss es erlaubt werden, einige Länder auszuschließen. So hieß es am 12.05.2012 auf der Seite DigitalFernsehen: "Thomas Schreiber denkt darüber nach, wer künftig am Wettbewerb teilnimmt." Es sei denn, sie „demokratisieren“ (s. o.) und „verfreiheitlichen“ sich für den westlichen Markt.

Und gegen all dies regt sich 0 Widerstand?

Wird Zeit, dass der Iran am ESC teilnimmt – und gewinnt. Ich wollte immer schon mal nach Persepolis...


Ahoora & Ario mit "Iran"


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Montag, 3. September 2012

Mordsmäßige Konzepte

Bislang herrscht großes Schweigen um den deutschen Beitrag für 2013. Spannung baut sich auf, aber von Vorfreude kann bei mir keine Rede sein. Seit 2010 geht es den Organisatoren nicht mehr um Musik, sondern um Emotionalisierung und Einschüchterung. Mit einer vordergründig belächelten Show wird der Chauvinismus durch die Hintertür wieder salonfähig gemacht

Zur Erinnerung: Im Vorfeld des Eurovision Song Contest in Baku wurde in den deutschen Medien eine beispiellose „smear campaign“ gegen Aserbaidschan geführt. Das war ungefähr so, als würde man bei einem Boxwettkampf das Publikum anfeuern, den gegnerischen Mitspieler mit Steinen zu bewerfen. Im Sport würde so ein Wettkampf abgebrochen werden, beim ESC dürfen sich die Steinewerfer belohnen. Schweden gewann mit Loreen, und in Deutschland wurde Anke Engelke wegen ihrer Bemerkung „Es ist gut wenn man die Wahl hat“ in den Himmel gelobt.

Wie viel Wahlfreiheit haben wir denn?
Wird Lena Meyer-Landrut reaktiviert für weitere verhöhnende 5 Millionen mal Lena in allen Medien? Gibt es wieder eine Serie mit Castingshows und lauter nichtssagender Unbekannte? Oder werden nach Jahren mal wieder die Schwulen als Zielgruppe umschmeichelt? Mit ihnen könnte man statt Aserbaidschaner zur Abwechslung dann die Weissrussen verteufeln. Das würde gut in Obamas Wahlkampf passen. Der ESC-Verantwortliche des NDR, Thomas Schreiber, der sonderbarerweise vergessen hat, dass es beim ESC um einen Musikwettbewerb und nicht um eine Chartliste der schönsten und scheinheiligsten Demokratien geht, gießt ja schon Öl ins Feuer der Chauvinisten, zu denen sicherlich auch eine Reihe schwuler ESC-Fans zählen. Weissrussland muss weg, so ihr ESC-Motto. 

Und Lukaschenkos Ausspruch muss ja auch noch gerächt werden. Er ist und bleibt nämlich „Lieber Diktator als schwul“.

Mal ehrlich: Früher hätte ein schwuler Aktivist schlagfertig auf dieses Zitat gekontert und die Lacher auf seine Seite geholt. Damit wäre es dann für Normalsterbliche erledigt gewesen. Heutzutage werden Querverbindungen zwischen C-Promis, Beamte, Schlagerwettbewerb und Außenpolitik hochgeschaukelt und dem verrohten Mittelstand als Menschenrecht verkauft. Dieser Mittelständler braucht sich dann nur noch unterwürfig auf Scheinautoritäten verlassen, die - natürlich im Sinne der Menschenrechte - ganze Länder (einschließlich ihrer Homosexuellen) in Bausch und Bogen verurteilen, ausgrenzen, überfallen und plattmachen. 

Wir müssen zum nächsten ESC einfach versuchen zu vergessen, dass Deutschland bereits "sich selbst richtete" (s. Westerwelles Reaktion auf das Zitat von Lukaschenko im o. a. Link), indem es der weissrussischen Polizei den Umgang mit Schlagstöcken, Wasserwerfern und Tränengas beigebracht hat und lasse Guido kontern mit „Lieber Diktator UND schwul.“