Freitag, 29. August 2008

Zivilisierter Krieg

Fürs mediale Großereignis vermarktet man das Publikum gerne mit. Das Zauberwort heißt „Telefonvoting“, und es wird seit 1997 beim Song Contest eingesetzt. Im Laufe der Jahre haben sich nach und nach alle teilnehmenden Länder von den Jurys verabschiedet.

Durch die Telefonabstimmung wird der Zuschauer ins Geschehen eingebunden und in dieser Rolle ist ihm eine gewisse Verantwortung für das Endergebnis nicht mehr abzusprechen. Sollte man jedenfalls meinen. Im Grunde ist diese Mitverantwortung und partizipierende Produktion von Stars eher Schein, denn die Spielregeln und die potentiellen Verdiener sind top-down klar vorgegeben.

Meiner Wahrnehmung nach hat das Telefonvoting zur Folge, dass sich der Contest immer mehr von der Musik verabschiedet. Dieses Jahr ist das Verhältnis zwischen brauchbaren Songs und Trash-Produktionen zugunsten letzterer schließlich gekippt. Zynische Medien und Organisatoren auf der einen Seite und ein angepeiltes schadenfrohes Publikum auf der anderen Seite sollten sich wohl nur noch ungestört selber feiern. Nichtsdestotrotz hat das europäische Publikum ausschließlich ernsthaft engagierte Teilnehmer auf die ersten zehn Plätze gewählt.

Herrschaftsbeziehungen müssen endlich wieder geklärt werden: Her mit der Jury!
So fordert es mittlerweile ein Teil der westeuropäischen Fans. Denen ist nämlich diese Art Rezipienten-Partizipation mittlerweile verhasst. Das Abstimmungsergebnis wird als unglaubwürdig befunden, reine Effekthascherei fürs Voting hat nur noch Qualitätsverlust zur Folge und ermüdend ist die ständige Genese und Demontage von Wegwerf-Stars.

Immer verbitterter und verbissener kreisen die Diskussionen in der Fangemeinde um sich selbst, als wäre nur noch dies Zweck der Fankultur. Die hitzigen Debatten wiederum dürften für die Organisatoren sehr werbewirksam sein, ab und zu wird mit provozierenden Pressemitteilungen gerne Öl ins Feuer gegossen.

Die unselige Mischung aus Mitbestimmung und Ohnmacht scheint wie ein Teufelskreis empfunden zu werden mit teilweise fatalen Folgen für die gesamte Fan-Kommunikation. Nur zu bereitwillig lässt man sich in seiner Argumentation vor dubiose politische Karren spannen. Und wehe, wer nicht mitmacht. Es werden Fronten gebildet, Sündenböcke gesucht – und gefunden. Der türkische Nachbar, der armenische Immigrant, der Ost-Sympathisant, der säbelrasselnde Russe, der besoffene Bruder, die gesamten Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR usw. usw.

Jenseits von Apokalypse und Euphorie bleibt Ratlosigkeit. Haben Fans DAS gewollt?

Samstag, 9. August 2008

Das Lied vom Scheitern

Ich wusste stets, was ich will, doch das wollen viele.
Trotzdem setze ich mich zwischen alle Stühle.
Und machte es mir bequem. Bis hierhin kein Problem.

Das ESC-Merchandising erfasst mittlerweile sogar Bereiche, die zuvor nur von und für organisierte Fans interessant waren. Abgesehen davon, dass den Fans damit die Definitionsmacht über das "Wahre Fan-Dasein" abhanden kommt, bedeutet diese Entwicklung auch, dass ihre Arbeit zunehmend einer irritierenden Konkurrenz ausgesetzt ist, z. B. bei der Darbietung von Hintergrundinformationen, der Berichterstattung am Austragungsort und bei der gesamten Performance ihrer Tätigkeiten. Contest-spezifische Bezugspunkte haben sich in den letzten 10 Jahren durch das Internet mit Chats, Foren, Homepages und - man höre und staune - Blogs vervielfacht, sodass eine Abgrenzung immer unmöglicher wird. Dies kann man begrüßen, andererseits bedeutet die massenweise Vervielfältigung von Fan-Kultur eben auch einen Kontrollverlust des Profils und des Ansehens.

Ein gutes Beispiel für irritierende Konkurrenz und fragwürdigem Themen- und Zielgruppenmarketing ist das NDR-Weblog in der hier geführten Blogliste. Selbstverständlich geht man bei Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten zunächst davon aus, von ehrlichen Journalisten informiert und unterhalten zu werden. Schaut man genauer hin, unterscheidet sich dieses Weblog nicht von einem normalen Unternehmensblog, das mit PR-Texten Kunden binden und seine Produkte mit dem Kunden ins Gespräch bringen möchte. (Funktionen von Unternehmensblogs: to "generate interest, drive action and sales, establish expertise - and - create goodwill". )

Ich machte es allen recht, alle sollten mich lieben.
Sah nicht die Dämonen, die mich dazu trieben.
War gefangen und nicht mehr frei, und ich ging kaputt dabei.

Vorweg: Es gibt keine Sendung im öffentlich-rechtlichen TV, in der sie sich als Förderer und Kenner moderner Pop-Musik beweisen. Und die Erfolge beim Song Contest bleiben regelmäßig aus. Möglicherweise fehlt in dem Putin-Posting daher das Produkt. Stattdessen - in scheinbar harmloser Gestalt eines Textes zum banalen europäischen Song Contest - tun sich Abgründe an Ignoranz auf: Der Blogger spielt schon in der Überschrift ironisch auf den Führungsstil der Konkurrenz, also des erfolgreichen Siegerlandes Russland, an. Wahrscheinlich gerichtet auf Vorurteile vergangener Jahrzehnte meint er, Putin wie einen Nestbeschmutzer des ESC darstellen zu dürfen, dessen Show wir Fans wie gedemütigt ausgeliefert sein werden. Darüber will man sich beim NDR also mit Fans unterhalten? So schätzt man den Fan also ein?! Wie auch schon Serbien will uns wieder ein osteuropäisches Land mit Krimsekt begrüßen, und uns liegt angeblich nichts anderes am Herzen, dorthin zu reisen, um den Gastgebern den Sekt ins Gesicht zu schütten?

Man kann die Welt nicht ewig blenden,
ich muss den Matsch sofort beenden.
(fettgedruckt: Liedzeilen aus "Das Lied vom Scheitern" von Die Ärzte)

Freitag, 8. August 2008

Von Berlin nach Warschau

Ich Troje – das sind polnische Musiker, die ihr Handwerk in erster Linie auf der Bühne erlernt haben. Ihr Motto könnte lauten: Making By Doing. Am Anfang stand hier nicht die Casting Show, sondern leidenschaftliches Karaoke in Singapur.

Ihre Popularität erreichten sie vor allem durch den ständigen Kontakt zum Publikum während zahlreicher Konzerte im In- und Ausland. Oft im Widerstreit mit unsinnigen Reglementierungen aller Art und mit der polnischen Gesellschaft, die ihnen den Erfolg offensichtlich neidet, ist ihnen mittlerweile keine Hürde zu hoch, kein Weg zum Fan zu weit und kein Business zu riskant. Sie sind Musiker, Musikmanager, Produzenten, Promoter, Marketer und z. B.

http://www.ubezpieczeniawisniewski.pl/

Und trotzdem mag man nicht von einer Bilderbuchkarriere sprechen, dafür war der Weg für das ehemalige Heimkind Michal, das mit den denkbar ungünstigsten Voraussetzungen ins Leben startete und jetzt Idol einer Generation ist, zu steinig. Vergessen hat er diese Zeit nicht und er lässt keine Gelegenheit aus, für Kinderheime und andere soziale Einrichtungen zu spenden.

Zwei Mal nahmen sie bereits am Eurovision Song Contest teil: 2003 erreichten sie einen akzeptablen 7. Platz und 2006 verpassten sie dann leider den Einzug ins Finale: Zu bizarr! Was aber nicht bedeutet, dass Ich Troje dem Contest den Rücken gekehrt hätten. Wie man es von echten Kämpfern nicht anders erwartet, wollen sie für ein drittes Mal zurückkehren. Wer weiß, vielleicht sogar schon in Moskau? Aber auch das wird ein Kampf, denn Unterstützung und Siegeswille der polnischen Organisatoren sind genauso bescheiden wie in Deutschland.

„We Play In Team“ erscheint heute am 08.08.08.





























Freitag, 1. August 2008

Früher war alles besser

Trotz Unterschiede im Alter, im Geschlecht sowie in der sozialen und kulturellen Selbst- und Fremdverortung kommen wir Fans bei vielen Grundsatzdebatten überraschend schnell zu dem ausnahmsweise mal übereinstimmenden und verblüffenden Ergebnis, dass "früher alles besser war".

Aber was war besser? Die Darbietung der Contest-Show im Fernsehen? Das Clubleben? Das Fan-Dasein? Die Musik? Der Musikgeschmack? Und schon ertappe ich mich dabei, dass meine Gedanken zu kreisen beginnen und sich mal wieder zu einem unfassbaren Problem verschärfen. Und ab zurück auf Los!

Der ESC-Fanclub OGAE entstand 1984 in Finnland und in Folge 1987 auch in Deutschland. Entwickelte sich das durchaus kreative und produktive fankulturelle Engagement zunächst mehr im nicht-öffentlichen Bereich und in distanzierter Auseinandersetzung mit den Fernsehanstalten, haben sich die Grenzen zwischen den Organisatoren und den Fans im Laufe der Zeit mehr und mehr aufgehoben mit der Folge, dass auch die Exklusivität des Clubs und seines Angebotes langsam schwindet.

Wie kam es dazu? Und welche Folgen hat dies für die Fankultur?

Interessierte sich vor 20 Jahren nur eine kleine Gruppe intensiv für den Contest, ist er heute Massenkultur. Lösten eingeschworene ESC-Fans früher noch Befremden und Belustigung aus, wurden viele Aspekte der ESC-Fankultur spätestens seit 1998 mit dem Auftritt Guildo Horns vom allgemeinen Fernsehpublikum begeistert übernommen (Nussecken!). War früher das Clubangebot an Film- und Tonmaterial exklusiv, ist dies Material im Zeitalter von myspace und youtube jederzeit für alle verfügbar. Selbst die fanspezifische Rezeption medial vermittelter Contest-Inhalte (Clubtreffen) wird von den Rundfunkanstalten kopiert, wenn sie z. B. in ihren Vorentscheidungs-Shows ehemalige ESC-Stars imitieren und karikieren. Mit geschickten Personalbesetzungen wurde last not least sogar die schwule Perspektive auf das Spektakel gleich mit vereinnahmt.

Nach wie vor werden typische Inhalte der Fankultur in Club-internen Zeitschriften wie auch vor allem auf den Vereins-Hompages dokumentiert. Aber auch hier stehen nicht-organisierte Fans und Rundfunkanstalten mittlerweile nicht mehr zurück. Vor allem der NDR hat in den letzten Jahren genau diese Inhalte auf ihre Internetpräsenz übernommen und bietet sie mit ihren Rundfunkgebühren-finanzierten Mitteln entsprechend opitimiert dar.

Das Kopieren muss positiv als eine Akzeptanz der langjährigen Fan-Arbeit und der Fan-Verschrobenheit betrachtet werden. Andererseits ist diese Vereinnahmung auch negativ als eine Kommerzialisierung und einer damit einhergehenden Banalisierung zu kritisieren.