Sonntag, 25. Dezember 2011

Guttenbergerei beim Eurovision Song Contest

Haben wir Schlagerfans des Eurovision Song Contestes also demnächst den Guttenberg am Hals…? Absurder Gedanke, mögen viele jetzt denken, und so versuche ich mal, mein Unbehagen zu erklären.

Vorab: Als mehr oder weniger unpolitischer ESC-Fan maße ich mir nicht an, über Weltpolitik zu urteilen, auch möchte ich nicht den Eindruck erwecken, für irgendein Land Partei zu ergreifen. Ich möchte lediglich zum Ausdruck bringen, dass mich der Missbrauch des ESC für politische Zwecke, vor allem für Hetzkampagnen, nervt. Sie sorgen nachhaltig für eine Entsolidarisierung unter den Fans (auch innerhalb Deutschlands) und verkehren den Zweck dieser Unterhaltungsshow in sein Gegenteil.


Unbehagen wegen Guttenberg

stellte sich nicht nur bei mir als ESC-Fan ein, sondern u. a. auch beim Blog
MedienMittweida. Dort lese ich, "dass Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg neuer EU-Beauftragter für Netzfreiheit wird. Offiziell soll der Mann mit den vielen Vornamen herausfinden, wie Blogger und Cyberaktivisten in autoritären Ländern unterstützt werden können.“ Weiter heißt es im Blogtext „In militärischem Jargon erklärte Guttenberg während seiner Vorstellungs-Pressekonferenz, seine „Heimatbasis“ seien die USA." Ein EU-Beauftragter mit Heimatbasis USA klingt für mich eher nach einer Kriegserklärung, ich hoffe, dass dies ein Missverständnis ist.

Unbehagen wegen politischer Vereinnahmung der ESC-Fankultur

ist berechtigt, sobald ein osteuropäisches Land den ESC gewinnt. Dann nämlich beginnen die Hetzkampagnen, natürlich stets auf Grundlage außermusikalischer Themen wie z. B. der Homosexualität. Vor dem Contest in Belgrad 2008 gab es vordergründig nur noch ein Thema, und zwar die Schwulenfeindlichkeit der Serben. Ein Jahr später bekam Russland als austragendes Land diesen Vorwurf noch mehr zu spüren. Die deutsche Journaille einschließlich ihrer Lohnschreiber und Mietmünder überbieten sich noch heute, wenn sie von der niedergeprügelten Schwulendemo aus Moskau berichten.


Dumm nur, dass es so eine Demo in dem Maße nie gegeben hat. Ich war zu der Zeit in Moskau: Einen Tag vor dem Finale kam es lediglich zu einem kleinen Zwischenfall an der Lomonossow-Universität mit weißrussischen Studenten, vielleicht ja solche Weißrussen, für die sich vor kurzem
Karin Göring-Eckhart im DLF einsetzte, weil diesen die Annahme der finanziellen Unterstützung aus dem Ausland untersagt wurde. Nun, eine aus dem Ausland finanzierte Opposition wird wohl kein Land gerne dulden, warum dann Weißrusland?

Zurück nach Moskau 2009: Am Finaltag war es kalt und regnerisch, der Rote Platz war gesperrt und rundherum herrschte emsiges Markttreiben.
Wie ich herausfand, gab es weder einen Organisator oder Ansprechpartner für eine Demo, noch gab es eine Demo-Route, über Kundgebungen war nichts bekannt, es gab nicht mal interessierte Schwule. Es gab nur Gerüchte, mit denen man Russland vor der Weltöffentlichkeit während des Contestes diffamierte und schlechte Stimmung verbreitete.

Aserbaidschan und Homosexualität

Gleich nach dem Sieg Aserbaidschans konnte man schon wieder den Kopf einziehen. X-beliebiger Beispieltext, diesmal aus der
britischen Regenbogenpresse: “However the Muslim country has a dodgy track record of prejudice towards gays. Thousands of gay Eurovision fans, who make up a massive percentage of supporters at the contest, are threatening to boycott it.” Und hier noch einen Text zur Bestätigung aus ATV Today.

Sonderbar, sonderbar… aber der Vorwurf der Schwulenfeindlichkeit scheint bislang nicht richtig zu ziehen, zumindest nicht in Old-Germany. Zum einen haben die deutschen Organisatoren mit der fast religiös-inbrünstigen Hofierung von Merkelberater Nikolaus Meyer-Landruts Nichte den Bogen überspannt, zum andern profitiert die deutsche Wirtschaft von der Austragung in Baku. Die für die Austragung erbaute Baku-Crystal-Hall wird nämlich von der Alpine Deutschland GmbH gebaut, und für die Produktion der TV-Show hat man Brainpool TV GmbH als Kooperationspartner gewonnen, worauf die deutschen Unternehmen stolz wie Könige sind. In Aserbaidschan spielt Geld bekanntlich keine Rolle, was bei Stefan Raab anders zu sein scheint. Zwei Jahre lang versuchte er sich gegen den selbst kreierten ESC-Erzfeind Aserbaidschan zu profilieren – vergeblich. Die Tantiemen seines unermüdlichen Lena-Fleißes fließen nicht in seine Taschen, sondern wie gehabt ins Land der Politiker-Flüsterer.


Stattdessen kommt neben den fast schon lachhaften Angriffen der armenischen Diaspora - natürlich aus den USA - die undurchsichtige
Hetze jetzt aus Dänemark. Der dänische Fanclub-Präsident fordert auf zum Boykott? Auslöser sei der geplante Abriss von Wohnhäusern in Baku zugunsten der Baku-Crystal-Hall. Nur warum zeigen Dänen nicht den Hauch von Betroffenheit, wenn es um Klagen der Berliner Hausbesetzerszene oder um Opfer der allgemeinen Gentrifizierung geht? Was bei uns mit Verweis auf Sachzwängen gar nicht erst diskutiert wird, stellt also in Aserbaidschan eine Menschenrechtsverletzung dar? Wenn das mal nicht noch kontraproduktive Folgen hat...

Dann also mal die Menschenrechte im Allgemeinen…

"Die Grundrechte sind die Ecksteine des Erfolgs des Eurovision Song Contest. Jetzt fordert die Europäische Rundfunkunion vom autoritär geführten Aserbaidschan Garantien, dass diese eingehalten werden“, so das
Handelsblatt oberlehrerhaft am 01.09.2011.
Aber stimmt es, dass die EBU prangerte und forderte? Ich fand dazu keine Information, im Gegenteil, die EBU schien schon im September 2011 zufrieden: Jørgen Franck, Direktor ad interim vom EBU Television Department: “Every year, the contest has something new to offer. Based on what I've heard today, I am sure that we will see a magnificent show next year in Baku. We fully support Ictimai TV in that, and will continue to work closely with you also after the contest."

Dann noch die sog. Menschenrechtler im Besonderen

Wie berechtigt die Vorwürfe von Menschenrechtsorganisationen im Einzelnen sind und welche Maßstäbe sie ihren Beurteilungen jeweils zugrunde legen, sei hier dahingestellt. Als Beobachterin finde ich es nur fragwürdig, wie uns ESC-Fans ihre Ergebnisse vermittelt und dass sie ausgerechnet in einem passenden Timing mit dem ESC auf den Tisch gebracht werden.


Getarnt als Graswurzelbewegung werden wir mit der Betroffenheit von Bloggern und Aktivisten geradezu überrumpelt. Offensichtlich geht es diesen Menschenrechtlern aber nicht um die Emanzipation von Unterdrückten, sondern sie produzieren Appelle, die beschimpften Länder in Bausch und Bogen zu verurteilen. Wer diese Appelle in Frage stellt, macht sich leicht zur Unperson. Genau an dieser Stelle beginnt die Entsolidarisierung der Fans und damit die Zerstörung einer gewachsenen Fan-Kultur innerhalb Europas. Gewollt?


Einem Mann wie Guttenberg, der aus seiner Abhängigkeit von Netzwerken keinen Hehl mehr macht, der auf sich allein gestellt nicht viel zu können scheint, dem schon die Aura der kriminellen Energie umgibt, traue ich durchaus zu, sich als Anstifter solcher Kampagnen herzugeben.

Die diesbezüglichen Statements der Aserbaidschaner erscheinen mir im Gegensatz dazu nachvollziehbarer. Ich fasse kurz zusammen: Die Menschenrechtsorganisationen geben ihre Quellen nicht an, korrigieren die falschen Zahlen nicht, schreiben voneinander ab, und schreiben im Interesse der Länder, von denen sie finanziert werden…und zwar Guttenbergs „Heimatbasis“.

Zum Schluss sei erwähnt, dass mir Obamas jüngstes Vorhaben, sich für Schwulenrechte im Ausland zu engagieren (s. Ria Novosti vom 08.12.2011), im Zusammenhang mit dem ESC mit Sorge erfüllt. "Professor Viktor Kremenjuk vom Institut für USA und Kanada ist der Ansicht, dass Obama nicht nur innenpolitische Ziele verfolgt. Wie das Thema Menschenrechte kann auch der Schutz von Homosexuellen als Instrument für den Druck auf ausländische Regierungen verwendet werden."
Auch wenn so viel amerikanische Fürsorge die Eitelkeit der Schwulen schmeicheln mag, werden sie hoffentlich nicht so dumm sein, blind darauf anzuspringen. Ginge es nämlich wirklich um die Belange von Homosexuellen, müsste Obama erst mal im eigenen Land anfangen.

Mittwoch, 7. Dezember 2011

Tatort x-factor: Kommissar David Pfeffer hat Blut geleckt

Es gibt also einen neuen x-factor-Sieger: David Pfeffer. Und sein Markenzeichen sind neben Polizeimütze ausgerechnet die leisen Töne. Ich fand ihn in der Gesamtshow auch am besten. Aber für dieses Ergebnis sollte man sich also wochenlang von zahllosen Kandidaten anschreien lassen? Und dann mit Musikstücken, die man schon monatelang zuvor im Formatradio in Rotation gehört hat? Wie aufregend.

Retro, Retro und noch mal Retro
Ich mag diese Shows nicht. Ganz schlimm, wenn sie sich einen seriös-kuscheligen Anstrich geben und sich doch nur durch Abgrenzung von Dieter Bohlen legitimieren. All die abgehalfterten Musiker, die sich in ihrer Selbstreferenzialität fast überschlagen: „Wir sind ja so anders, deswegen sind wir toll. Ja, das ist x-factor, das ist Voice of Germany, das ist USFx, wir sind lieb zu den Teilnehmern. Wir sind Gefühl pur, wir sind cool, wir sind Ausdruck, wir sind bla bla bla…“ Da ist mir Dieter Bohlen, der zumindest keinen Hehl aus seinen unterirdischen TV-Formaten macht, fast lieber, weil weniger arrogant.

Alle Castingshows sind gleich
Statements der Juroren durch Splitscreen mit eben solchen Statements der Castingteilnehmer umrahmt Schnitt Gefühlsausbrüche Schnitt einstudierte Blicke in die Kamera Schnitt Rückblicke Schnitt Auftritt Castingteilnehmer Schnitt Kameraschwenk Publikum Totale Schnitt Backstage Schnitt Logo Schnitt Zeitraffer Rückblick Schnitt Zoom Jurorenstatement Schnitt Gesichtsausdruck Castingstar nah, unendliche Umarmungen Schnitt noch unerträglicher der Sound, ein Mix von Jingles, Melodiefetzen anglo-amerikanischer Hits und Nachgesungenem dauerhaft unterlegt mit Gegröhle, Gekreische und Zurufen von Publikum und Mietmündern. Vor jeder Wertungsverkündung läuft der Moderator zur Hochform auf und liefert eine Predigt ab, als ginge es um Leben und Tod.

Witzigerweise sind die Werbespots und Vorankündigungen im gleichen Stil angefertigt, so dass man gar nicht mehr erkennt, ob man nun die Sendung oder ihren Werbespot sieht. DSDS, Deutschland sucht den Superstar, Voice of Germany, USFX, Germany's next Topmodel, Popstars, Das perfekte Model, The winner is (mit Linda de Mol)... Beim Durchzappen deutet nur noch das Senderlogo darauf hin, in welcher Show man sich gerade befindet, wobei Voice of Germany und USFX auf gleich zwei Sendern schon für Irritationen sorgen.

Du bist Deutschland
Ob sich die Macher dieser Shows wohl jemals vorgestellt haben, wie es ist, wenn man sich so eine Show alleine anschaut? Gehen die etwa davon aus, dass das Publikum im Familienverbund TV schaut, oder ausgerechnet eine Castingshow als eine identitätsstiftende Großveranstaltung feiert? Dass wir bei dieser ermüdenden Fließbandproduktion mit Schülern, Studenten, Hausfrauen und Arbeitslosen (und neuerdings auch Polizisten) noch kollektiven Fanatismus an den Tag legen? Fast können sie einem leid tun, die bemühten Juroren und ihr ganzer TV-Trash-Füllstoff. Die verkrampft seriösen Shows noch mehr als Bohlens entspannte Freakshow, denn ich nehme sie in ihrer Anbiederei beim Publikum mehr und mehr als Bettler wahr.

Und am Schluss hängt alles davon ab, dass das Publikum sich wieder blöd stellt und komplizenhaft so tut, als hätte es nach so viel mühseliger Fließbandarbeit zufällig auf der Straße einen Diamanten gefunden – einen Diamanten zum Wegwerfen. Denn immerhin haben uns bislang alle Castingsternchen den Gefallen getan, genauso schnell wieder zu verschwinden wie sie gekommen sind. Oh Graus, das wollen die Shows mit Anspruch jetzt ändern? Uns Publikum bleibt auch nichts erspart.

David Pfeffer, du bist schon OK!
Ich will nicht ungerecht sein, denn Till Brönners feinfühliger Schützling David scheint meinen Schmerz immerhin zu ahnen. Auf die Frage nach seiner musikalischen Zukunft: „Ich werde niemals Grönemeyer oder Xavier Naidoo beerben, das ist mir klar. Aber solange ich Musik mache, zu der ich stehe und die künstlerisch zu mir passt, bin ich zufrieden. Das ist mir wichtiger als kommerziell erfolgreich zu sein.“ So David in der BILD.

Lieber David, kommerziell erfolgreich sein, ist doch ok, aber warum Castingshow?



David Pfeffer und seine Band Inpaticula mit "
A Promise"
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