Vor kurzem wäre mir beim Frühstück fast die Kaffeetasse aus der Hand gefallen, als Dirk Pohlmann in dem für mich sonst informativen und spannenden Gespräch des Exomagazin seine Schwärmerei für Greta Thunberg mit dem Hinweis auf den Hype-Verlauf bei ESC-Siegerin Lena Meyer-Landrut rechtfertigte. Ich stimme zu, dass diese Hypes Gemeinsamkeiten aufweisen, aber zu verteidigen gibt es für Endverbraucher dabei nichts.
Astroturfing statt Graswurzelbewegung
Endverbraucher dürfen davon ausgehen, dass Hypes, ob sie nun der Überhöhung oder Dämonisierung dienen, top-down organisiert sind und mittels Massenmedien Popularität und Übereinstimmung mit der breiten Masse nur vortäuschen.
Nebenbei: Die gleiche Strategie der Vortäuschung von Übereinstimmung zwischen oben und unten nehme ich auch in der modernen Form der amerikanischen Unternehmensführung mit z. B. flachen Hierarchien, infantilen Gruppenaktivitäten und kumpelhaftem Geduze wie auch in der Struktur von Mitmach-Portalen wie Wikipedia wahr. Diese Strategien befördern die Selbstausbeutung, verunmöglichen notwendige Abgrenzung, vernichten individuelle Standpunkte, Eigeninteressen und auf Dauer die gesamte Sozial- und Rechtsordnung.
Rückblick Lena-Meyer-Landrut-Kampagne
Lena Meyer-Landrut ging aus dem Schowbusiness-Format Castingshow (USFO) hervor, das mit vom Publikum nicht überprüfbaren Zahlen in Form von Votings, Ratings, Rankings etc. arbeitet. Will Dirk Pohlmann uns tatsächlich glauben machen, dass dieses kommerzielle TV-Format etwas mit Demokratie, Wahrheit und Gerechtigkeit zu tun hat?
Außer nettes Aussehen und Herkunft hatte Lena nichts, was sie für einen ESC-Sieg interessant machte – höchstens noch Geltungssucht und Hemmungslosigkeit als Grundvoraussetzung für dieses Business. Dass sie als „Kunstprodukt nur aufgrund ihrer Natürlichkeit“ dennoch innerhalb weniger Wochen mit einem medialen Senkrechtstart durch die Decke ging, widersprach der Alltagserfahrung und dem Gerechtigkeitsgefühl.
Testdurchlauf für Zensur, Mediengleichschaltung und Publikumsverhöhnung
Zielscheibe dieser Kampagne schienen vor allem der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk (der mittels Kooperation mit den Privaten seine Unfähigkeit zu attestieren hatte), Medienschaffende und Promis zu sein. So degradierten sich hochgestellte Rundfunkmitarbeiter des ÖR bereitwillig zu Lenasthenikern. Viele Musiker der als „alternativ“ etablierten Musikszene band man als Juroren in USFO ein; aber auch außerhalb der Show mussten alle Promis ein positives Statement zu Lena abgeben. Wer sich nicht daran hielt – Udo Jürgens drückte Besorgnis wegen dieses unnatürlichen Hypes aus – wurde am nächsten Tag medial hingerichtet. Von der brutalen Social-Media-Kampagne gegen ESC-Fans ganz zu schweigen. Was Dirk Pohlmann und Markus Fiedler auf Wikipedia ans Tageslicht bringen, haben ESC-Fans schon vor 9 Jahren durchgemacht.
Im Finale von USFO war schließlich Xavier Naidoo der Juror, dem allerdings die aufgezwungene Lena-Lobhudelei sichtlich schwer fiel, der aber schließlich mitspielte. Seine Loyalität wurde nicht belohnt. Als er selber zum ESC wollte, wurde er von Transatlantikern wegen Reichsbürgernähe angegriffen und verhindert.* Erst ab da wird er begriffen haben, dass Künstler nicht mehr durch Leistung, sondern nur durch gehorsame Unterordnung mediale Popularität und Anerkennung erhalten. Die Geisel-Gruppe der Campinos, Böhmermänner, Marterias, Lindenbergs, Connors, Kraftklubs, Fischfilets, Grönemeyers usw. wächst beständig.
Konfektionierte Star- und Publikumsprofile zwecks psychologischer Kriegsführung
Durch Trivialisierung der Politik bei gleichzeitiger Aufwertung des Boulevard werden Themen, Star- und Publikumsprofile immer austauschbarer - und die Medienkritik immer seltener. Dirk Pohlmanns Vergleich zwischen Greta und Lena ist dafür ein gutes Beispiel. Was u. a. von Professor Rainer Mausfeld und Ulrich Mies bestätigt wird, ist eine immer gleiche top-down-Kommunikationsstrategie.
So beobachte ich, dass die Starprofile stets polarisierend angelegt sind und die Rezeptionsmuster gleich mitgeliefert werden. Naive Promotion - meist über Soziale Medien - vervielfacht daraufhin den Widerspruch nicht-diskursiver Attribute (Kindlichkeit, Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht, Behinderung, sexuelle Orientierung, Religion...) mit brutalen Anforderungen an die Positionierung des Publikums.
Greta wird zum einen wie ein vereinzeltes, behindertes, vergreistes Schulkind verkauft, gleichzeitig ist sie aggressive Herausforderin der Weltmächte
Absurder geht‘s nimmer. Aber hoppla, schon diese Wahrnehmung wird als „Hass“ oder „Verschwörung“ gerügt.
Mittels Pädagogisierung, Emotionalisierung und Infantilisierung werden die Konsumenten konfektioniert, indem der groteske Widerspruch zwischen beispielsweise vordergründig unschuldigen Stars und eingefädelter Niedertracht gezielt lanciert wird. Bevor sich aber Zweifel, Unbehagen, Unzufriedenheit, Kritik oder gar Desinteresse verbal artikulieren können, wird kontrolliert, angegriffen, eingeschüchtert, gelenkt, gelöscht und bestraft.
Wozu den Kunstrasen düngen?
Dirk Pohlmann und Mathias Bröckers fragen besorgt, was wir nur tun sollen, wenn Greta plötzlich nicht mehr da wäre. Zum einen frage ich mich, in welcher Funktion sie sich beim Astroturfing eigentlich sehen. Nach meiner langjährigen Erfahrung in der Funktion als „Stimmvieh“ kann ich sie beruhigen: Die nächste Eurovision kommt, und mit ihr die Lenas, Conchitas, Gretas, Rezos, Joshua Wong Chi-fungs, Bana Alabeds, Racketes, Kevins, Kilians, Maries oder Susis. Sie werden immer mehr und unteilbarer.
*Was die Kontaktschuld betrifft: Ein prominentes Fan-Produkt der ESC- und Lena-Kampagne war Anders Behring Breivik, das hat die deutschen Zensoren sonderbarerweise nicht gestört.
Grotesk auch, dass sich der verantwortliche NDR-Mitarbeiter zum Fall Naidoo die Frage gefallen lassen musste, wie er zum 11.09. stünde.
:::
Sonntag, 10. November 2019
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen