„Das Fernsehen ist schließlich eine einzige Schwindelkiste, betrieben von einer halbkriminellen Vereinigung skrupelloser Gutelauneproduzenten, eine Illusionsmaschine, die nie ausgibt, was man reintut.“ Hans Hoff über das Klatschvieh im TV. Die Schwindelkiste hat einen Preis bekommen und alle empfinden es als selbstverständlich.
Das gleiche Zitat von Hans Hoff ins Englische übersetzt und auf den internationalen ESC angewandt würde Stürme der Entrüstung erzeugen, obwohl auch der ESC nicht mehr als eine reißerische Unterhaltungs-Show ist. Der Vorfall um Xavier Naidoo brachte eine erschreckende Zensur ans Tageslicht. Die Zensur beinhaltet zugleich ein Sprechverbot über die Funktion dieses Events, denn alle beschränkten ihre Kritik auf NDR, Naidoo und Reichsbürger.
Nicht weniger bedenklich: Ein ins Englisch übersetzte, auf den ESC bezogene Hoff-Zitat hätte überhaupt keine europäische Plattform. Und deswegen verhallt auch der einzige spottende Beitrag aus der Schweiz: Länder Europas, vereinigt euch im Kitsch.
Wofür die Auszeichnung?
Der ESC habe sich in besonderer Weise um den Prozess der europäischen Einigung und um die Herausbildung einer europäischen Identität verdient gemacht, so Die Welt am 07.03.2016.
Grundsätzlich:
Wie kann es eine europäische Identität ohne einen europäischen Journalismus geben?
Wieso soll ausgerechnet das Zelebrieren eines Konkurrenzkampfes unter verschiedenen Ländern zur Einigung beitragen?
Karslmedaille als politisches Heuchel-Paradox
Immer mehr wird der „Länderwettstreit“ in den Vordergrund gerückt, Länderwettstreit entspricht allerdings einer militärorientierten Ideologie.
Siege und Niederlagen folgen oftmals geopolitischen Strategien. Sobald ein osteuropäisches Land gewinnt, ist Vorsicht geboten wegen Orangenen Revolutionen, Regime Changes etc.
Auffallend ist die im Zusammenhang mit einer Unterhaltungsshow absurde Hetze des Westens gegen Nicht-Nato-Länder Russland, Weissrussland, Serbien oder Aserbaidschan.
Um die inhaltliche Ausbildung einer europäischen Identität sieht es finster aus
Auffallenderweise werden die 3-Minuten-Songs immer gleichförmiger, alles klingt nach anglo-amerikanischer Formatradio-Musik, alles in englischer Sprache. Zudem werden die dafür angestzten Vorentscheidungungen immer korrupter.
Psychischer Effekt von Hetze, Zensur, Einschüchterung, von Gleichförmigkeit der Musik und nicht nachvollziehbaren Bewertungen dürfte auf Dauer eine Irritation von Wahrnehmung und Beurteilungsvermögens sein und vielmehr eine Zerstörung von Identität zur Folge haben.
Das Beurteilungsvermögen wird zudem durch Sprachverdrehungen erschwert, die Verbalisierung von Kritik wird immer schwieriger: Substanzlosigkeit wird Identität, Kalkül wird Authentizität, Show wird Realität, Abschaffung des Publikumsvotings wird zur Revolution in der Mitbestimmung, Gleichförmigkeit wird Vielfalt, Fans werden Experten, Nichtskönner werden Helden, drittklassige Stars werden Politiker, Aggressoren werden Opfer, Provokationen werden als Friedensbemühungen deklariert usw. usw.
Fazit
Europa hat ohne Journalismus keine Kontrolle über das, was mit ihm gemacht wird. An Musik und Compilation verdient nur ein Label aus der USA, dieses scheint sich mit dem Militär zusammengeschlossen zu haben und gibt den Europäern Takt und Sprache vor. Das europäische Publikum darf mit Rundfunkgebühren und Steuern die Zeche für Promo und Propaganda zahlen.
Der Karlspreis also als eine Art Warmupper, um uns vor dem nächsten ESC langsam auf Betriebstemperatur zu bringen. Und last not least: Ob das von Spiegel-Online ins Leben gerufene Europäische Recherche-Netzwerk das ist, was ich bislang vermisse oder gar verstärkte Fernsteuerung bedeutet, wird sich erst noch zeigen müssen.
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Donnerstag, 24. März 2016
Donnerstag, 17. März 2016
Russland beim Eurovision Song Contest 2016
präsentiert sich diesmal mit dem Sänger Sergjey Lazarev und dem Song „You're The Only One“.
Während sich letztes Jahr viele über „Putins verlogenes Friedenslied" ausgekotzt haben, halten sich Medien und Fans dieses Jahr mit Äußerungen zu ihren emotionalen Befindlichkeiten zurück. Und das ausgerechnet bei Textzeilen wie „you are MY only one“ und „nothin' or no-one's gonna keep us apart“.
Ist das denn nicht die Großspurigkeit eines Diktators Putin, der nicht nur Europa, sondern die ganze Welt unterjochen will? Wieso fühlt sich dieses Jahr keiner angegriffen?
Ich kann mir die Zurückhaltung zum einen damit erklären, dass der Sänger Sergey Lazarev nicht wie Polina Gagarina letztes Jahr im Plural (wir) Weltschmerz und Friedens-Romantik besingt. Sergey singt aus Ich-Perspektive und entbindet „uns“ damit von einem sozialen Statement.
Darüberhinaus mögen Lied und Musikclip mit unterkühlter Symbolik aufgeheizte Emotionen drosseln. Der überwiegend in Grau- und Blautöne gehaltene Musikclip erinnert mit einer abstrakten Bildwelt eher an den Geometrie-Unterricht.
Möglicherweise ist die transportierte Unterkühlung auch zu offensiv, um ins politische Russland-Cliché zu passen, wonach das krisengeschüttelte Russland emotional schwermütig, defensiv und vor allem schmutzig auszusehen hat.
Gehen dem Westen langsam Atem, Sprache und Fantasie aus?
Der Clip startet akustisch mit einem Glockenklang und visuell mit Perspektive von oben (Gott) auf einen Todgeweihten. Synthetische Sounds begleiten die Kamera, die sich einem klinisch sterilen Krankenbett nähert. Mit sich verdichtenden waagerechten schwarzen Linien invertiert der Kranke in ein schwarzes Loch (Hölle).
Jetzt wird mit konzentrischen Kreisen der Blick auf die Mitte des Bildes fixiert, für einen kurzen Moment sieht man eine Art Zielscheibe (Militär), die dann zu einem Kegel mutiert.
Wieder mit Blick von oben sieht man in dem Kegel den wiederbelebten Patienten, der jetzt wie in einem schwerelosen Vakuum (Krise) Schwindel erregend herum wirbelt und schließlich in einer künstlich-kristallenen Umgebung als Mann in die Senkrechte kommt. Nun wird er zum Kämpfer und Beschwörer, bekommt Unterstützung von einem Kollektiv von Tänzern und schreckt auch Hitze und Flächenbrand nicht.
Das Element Feuer wird wie zu Beginn mit sich verdichtenden, waagerechten Linien dargestellt.
Das Objekt seiner Begierde wird von der russischen Miss Univers Vladislava Evtushenko gespielt.
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Während sich letztes Jahr viele über „Putins verlogenes Friedenslied" ausgekotzt haben, halten sich Medien und Fans dieses Jahr mit Äußerungen zu ihren emotionalen Befindlichkeiten zurück. Und das ausgerechnet bei Textzeilen wie „you are MY only one“ und „nothin' or no-one's gonna keep us apart“.
Ist das denn nicht die Großspurigkeit eines Diktators Putin, der nicht nur Europa, sondern die ganze Welt unterjochen will? Wieso fühlt sich dieses Jahr keiner angegriffen?
Ich kann mir die Zurückhaltung zum einen damit erklären, dass der Sänger Sergey Lazarev nicht wie Polina Gagarina letztes Jahr im Plural (wir) Weltschmerz und Friedens-Romantik besingt. Sergey singt aus Ich-Perspektive und entbindet „uns“ damit von einem sozialen Statement.
Darüberhinaus mögen Lied und Musikclip mit unterkühlter Symbolik aufgeheizte Emotionen drosseln. Der überwiegend in Grau- und Blautöne gehaltene Musikclip erinnert mit einer abstrakten Bildwelt eher an den Geometrie-Unterricht.
Möglicherweise ist die transportierte Unterkühlung auch zu offensiv, um ins politische Russland-Cliché zu passen, wonach das krisengeschüttelte Russland emotional schwermütig, defensiv und vor allem schmutzig auszusehen hat.
Gehen dem Westen langsam Atem, Sprache und Fantasie aus?
Der Clip startet akustisch mit einem Glockenklang und visuell mit Perspektive von oben (Gott) auf einen Todgeweihten. Synthetische Sounds begleiten die Kamera, die sich einem klinisch sterilen Krankenbett nähert. Mit sich verdichtenden waagerechten schwarzen Linien invertiert der Kranke in ein schwarzes Loch (Hölle).
Jetzt wird mit konzentrischen Kreisen der Blick auf die Mitte des Bildes fixiert, für einen kurzen Moment sieht man eine Art Zielscheibe (Militär), die dann zu einem Kegel mutiert.
Wieder mit Blick von oben sieht man in dem Kegel den wiederbelebten Patienten, der jetzt wie in einem schwerelosen Vakuum (Krise) Schwindel erregend herum wirbelt und schließlich in einer künstlich-kristallenen Umgebung als Mann in die Senkrechte kommt. Nun wird er zum Kämpfer und Beschwörer, bekommt Unterstützung von einem Kollektiv von Tänzern und schreckt auch Hitze und Flächenbrand nicht.
Das Element Feuer wird wie zu Beginn mit sich verdichtenden, waagerechten Linien dargestellt.
Das Objekt seiner Begierde wird von der russischen Miss Univers Vladislava Evtushenko gespielt.
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Mittwoch, 9. März 2016
Jamie-Lee Kriewitz - Japanischer Manga-Stil im Märchenwald der Gebrüder Grimm
Dass Jamie-Lee Kriewitz die deutsche Vorentscheidung gewinnen würde, hatte ich am 09.02.2016 schon vorhergesagt. Zu dem Zeitpunkt hätte ich nicht gedacht, dass mich ihr Sieg so angenehm berühren würde. Das lag zum einen daran, dass sie den Super-Gau verhinderte: Axel Diehl. In dieser Einschätzung gibt es eine bis dahin nie gekannte Übereinstimmung unter allen ESC-Fans, national wie international. Zum anderen liegt dies bislang auch an die:
Angenehm unaufdringliche Vermarktung
Während Politikernichte Lena Meyer-Landrut als Karikatur des Fräuleinwunders zum "emotionalisierenden", "polarisierenden" und damit nervtötenden Medien-Hype wurde, scheint man für Jamie-Lee's Starprofil noch keine passende Schublade gefunden zu haben. Wahrscheinlich sucht man nicht mal danach. Barbara Schöneberger fasste es in einem Kurz-Interview zusammen (ab 05'15): Zu Jamie-Lee müssen wir nichts erklären, wir schicken sie und sie steht für sich selbst.
Puppen-Punk
Bunte Knallbonbons hat man schon öfters beim ESC gesehen, Beispiel Moje 3 aus Serbien in 2013, aber hier wurde das Outfit im Nachhinein angepasst und war eher der Ratlosigkeit geschuldet, um überhaupt noch was rauszuholen.
Das ist bei Jamie-Lee anders, sie präsentiert sich in einem Mode-Stil, den uns der NDR mit Schlagworten wie Manga-Kultur, Decora Kei oder Lolita erst mal erklären muss. Jamie-Lee stilisiert sich zu einer fiktiven Figur, zu der sie zugleich Distanz wahrt. Das gefällt mir. Das passt auch zu ihren eigensinnigen Äußerungen: Sie hat sich ein trauriges Lied gewünscht, will ihrem Decora-Kei-Style treu bleiben, möchte für ihre Performance ein krasses Bühnenbild und will das Publikum vor allem mit ihrer Stimme erreichen. Nur
Das muss jetzt alles zu einem Bonbon zusammengeschmolzen werden
Als ESC-Fan ist man oft und gerne mit Musik aus anderen Ländern beschäftigt, so auch mit japanischer Musik, und die punktet mit viel Technik, Tricks und Kitsch. Wahrscheinlich entwickelt man dabei unbewusst eine Erwartungshaltung. Ich verweise auf die Band Sekai No Owari, die mal am asiatischen Abu Song Festival teilgenommen haben: 1 Ton, 1 Baum, Feder- und Fledermauskostüm, der Rest ist Licht-, Schnitt- und Kameratechnik.
https://www.youtube.com/watch?v=4v0Y0FVIbZk
Ich stimme der Kritik des Prinzblogs zu, die den Auftritt von Jamie-Lee als unstimmig beschreibt. Wie kommt man vom japanischen Outfit der Sängerin auf den vergreisten Märchenwald der Gebrüder Grimm? Wozu ein Backgroundchor, der versteckt werden muss? Da er doppelt so alt klingt wie in der Studioversion, bekommt man das Gefühl, Mutti will auch mit auf die Bühne. Und Papis unbewegliche Kameraführung, die aus japanischem Manga ein niedersächsisches Provinztheater macht, geht gar nicht.
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Angenehm unaufdringliche Vermarktung
Während Politikernichte Lena Meyer-Landrut als Karikatur des Fräuleinwunders zum "emotionalisierenden", "polarisierenden" und damit nervtötenden Medien-Hype wurde, scheint man für Jamie-Lee's Starprofil noch keine passende Schublade gefunden zu haben. Wahrscheinlich sucht man nicht mal danach. Barbara Schöneberger fasste es in einem Kurz-Interview zusammen (ab 05'15): Zu Jamie-Lee müssen wir nichts erklären, wir schicken sie und sie steht für sich selbst.
Puppen-Punk
Bunte Knallbonbons hat man schon öfters beim ESC gesehen, Beispiel Moje 3 aus Serbien in 2013, aber hier wurde das Outfit im Nachhinein angepasst und war eher der Ratlosigkeit geschuldet, um überhaupt noch was rauszuholen.
Das ist bei Jamie-Lee anders, sie präsentiert sich in einem Mode-Stil, den uns der NDR mit Schlagworten wie Manga-Kultur, Decora Kei oder Lolita erst mal erklären muss. Jamie-Lee stilisiert sich zu einer fiktiven Figur, zu der sie zugleich Distanz wahrt. Das gefällt mir. Das passt auch zu ihren eigensinnigen Äußerungen: Sie hat sich ein trauriges Lied gewünscht, will ihrem Decora-Kei-Style treu bleiben, möchte für ihre Performance ein krasses Bühnenbild und will das Publikum vor allem mit ihrer Stimme erreichen. Nur
Das muss jetzt alles zu einem Bonbon zusammengeschmolzen werden
Als ESC-Fan ist man oft und gerne mit Musik aus anderen Ländern beschäftigt, so auch mit japanischer Musik, und die punktet mit viel Technik, Tricks und Kitsch. Wahrscheinlich entwickelt man dabei unbewusst eine Erwartungshaltung. Ich verweise auf die Band Sekai No Owari, die mal am asiatischen Abu Song Festival teilgenommen haben: 1 Ton, 1 Baum, Feder- und Fledermauskostüm, der Rest ist Licht-, Schnitt- und Kameratechnik.
https://www.youtube.com/watch?v=4v0Y0FVIbZk
Ich stimme der Kritik des Prinzblogs zu, die den Auftritt von Jamie-Lee als unstimmig beschreibt. Wie kommt man vom japanischen Outfit der Sängerin auf den vergreisten Märchenwald der Gebrüder Grimm? Wozu ein Backgroundchor, der versteckt werden muss? Da er doppelt so alt klingt wie in der Studioversion, bekommt man das Gefühl, Mutti will auch mit auf die Bühne. Und Papis unbewegliche Kameraführung, die aus japanischem Manga ein niedersächsisches Provinztheater macht, geht gar nicht.
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