Mittwoch, 25. Dezember 2013

Turkvision – Schamanengesang, Ganzkörperschleier und dynamischer Ethnopop

Am 19. und 21. Dezember 2013 fand in der türkischen Stadt Eskisehir der Wettbewerb Turkvision statt, diesmal mit richtig internationalem Flair und medienwirksamer Promotion. 24 Teilnehmer aus verschiedenen turksprachigen Ländern und Regionen traten gegeneinander an und suchten das beste Lied und die beste Stimme der türkischen Welt.

Die Idee eines solchen Contestes ging von den Türken aus, es wird aber betont, dass Turkvision trotz Ähnlichkeit mit dem ESC nicht als eine Konkurrenzveranstaltung zu verstehen ist, auch wenn nun Länder wie Bosnien-Herzegowina, Rumänien, Zypern, Ukraine, Mazedonien, Weissrussland, Russland oder Aserbaidschan an beiden Veranstaltungen teilnehmen. Sinn und Zweck des Wettbewerbs sieht man vor allem in der Zusammenführung und Weiterentwicklung der türkischen Kultur und in der Schaffung eines gemeinsamen kulturellen - und ich gehe mal davon aus - auch eines musikwirtschaftlichen Bereiches.

Mit Turkvision konnte man als ESC-Fan mal seine Geographiekenntnisse aufbessern und Musiker kennen lernen, von denen man sonst nie etwas gehört hätte. Die Liste der teilnehmenden Regionen, Länder und Musiker einschließlich Wertungsergebnisse können auf Wikipedia nachgelesen werden.

Die Darbietung der Vielfalt türkischer Musikkultur wurde dann allerdings nur durch die Gesamtheit der 24 Teilnehmer im Semifinale voll eingelöst. Die Jury neigte eher dazu, schon im Semi-Finale das Besondere ihrer Kultur auszusortieren. Ob belustigend oder bewundernd, in einem waren sich selbst konservative ESC-Fans einig: So viel musikalische Abwechslung und viele gute Interpreten bietet der ESC nicht (mehr). Vor allem die Sängerinnen aus den russischen Regionen Tuva, Saylık Ommun, und Kemerowo, Çıldız Tannakeşeva, hätten unbeding ins Finale gehört. Sie präsentierten eine Gesangsdarbietung, die bei uns mit Begriffen wie „Schamanengesang“ und „Klangmeditation“ bestenfalls der Kategoie esoterische Lebenshilfe oder (naive) Musiktherapie zugeordnet werden.
Beide Sängerinnen scheinen den die Technik des Kargyraa-Gesangs zu beherrschen. Das ist beim suboptimalen Sound der Videos zwar nicht klar zu hören, aber die von ihnen gesungenen schnarrend klingenden Borduntöne filtern Unter- oder Obertöne meist automatisch heraus. 

Bei Saylık Ommun aus Tuva dürften sie sich gut mit der Backgroundmusik vermischen. Sie lieferte über mehrere Oktaven mit Glissandi, Verzierungen aller Art, Beatboxing, Growling und Joik ein Feuerwerk der Klanggestaltung.

Çıldız Tannakeşeva aus Kemerowo ließ kurz eine ganz andere Vorstellung von Musik durchschimmern, die sich an die Natur, z. B. an Vogelgezwitscher, orientiert. Wenn überhaupt noch in der Musik experimentiert wird, dann im Sound. Hätten die Juroren schon mal von der populären Jazz- und Stimmperformerin Meredith Monk aus den USA gehört, die sich offensichtlich von diesem Gesang hat inspirieren lassen, hätten sie diese Beiträge vielleicht als besonders avantgardistisch gewürdigt

Alina Sharipzhanova aus Tatarstan gab sich gefälliger und führte vor, dass, wer die asiatisch-orientalischen Gesangstechniken beherrscht, so nebenbei auch R&B singen kann. Ihr Lied "Üpkälämim" (I'm Not Resentful) erreichte immerhin Platz 4 im Finale.

Die drittplatzierte Ukrainerin Fazile Ìbraimova setzte zunächst auf Optik, indem sie sich scheu und Ganzkörper verschleiert auf die Bühne tragen ließ, dann aber im Verlauf des Songs immer temperamentvoller und freizügiger wurde. Auch sie betörte mit einer kraftvollen tiefen Stimme.

Auf andere Weise beeindruckend auch der Auftritt der Weissrussin Gunesh Abbasova, die schließlich knapp Zweite wurde. Wenn Weissrusslands Interpreten beim ESC stets Englisch gesungene Popmusik nach dem Motto „Augen zu und durch“ präsentieren, stellte sich die Diva Gunesh selbstbewusst wie eine Dompteurin vor das Publikum. Das war einer der wenigen ausdrucksstarken Chansons, wo Textverständnis unverzichtbar war. Leider verstehe ich kein Türkisch.

Ähnlich ausdrucksstark und gut gesungen war der angekündigte R&B-Mugham-Mix „Sensiz“ des Aserbaidschaners Farid Hasanov. Er hat jedoch kurzfristig diesen Beitrag gegen Ethnopop ausgetauscht, den er dann für mein Empfinden etwas „unfertig“ mit Boygroup präsentierte. Das Kalkül ist allerdings aufgegangen, sein schmissiger Beitrag "Yasa" (Leben) machte den ersten Platz. Das Lied ist vom gleichen Komponisten, der auch Aserbaidschans Debüt-Lied "Day After Day" in 2008 geschrieben hat.

 

Und sobald Aserbaidschan einen Contest gewinnt, ist die westliche Welt - wie man noch am gleichen Abend auf Twitter verfolgen konnte - sofort auf 180. Auch das Kalkül ist aufgegangen ;-)
Ich habe es als sehr angenehm empfunden, dass die Turkvision das erste Gebot der christlichen Hemisphäre umging, nämlich dass „Sex Sales“. Statt nackte Haut viel Folklore und man wurde als Musikpublikum Ernst genommen. Insofern war die Turkvision doch eine sehr gelungene Gegenveranstaltung zum ESC.

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Sonntag, 8. Dezember 2013

Junior ESC 2013: Eurovisionssiegerin Ruslana droht mit Selbstverbrennung

… wenn sich die Politiker in der Ukrainie nach dem gescheiterten EU-Assoziierungsabkommen nicht unverzüglich zugunsten des Westens entscheiden. Wer sich jetzt fragt, was das mit dem Junior Eurovision Song Contest zu tun hat, zweifelt zu Recht. JESC und EU-Ostpartnerschaftsgipfel in Vilnius fanden ziemlich zur gleichen Zeit statt und die Eurovisionssiegerin von 2004, Ruslana, spielte in beiden Veranstaltungen eine dubiose Rolle. 

Bevor ich auf ihr Fehlverhalten beim JESC 2013 zurückkomme, ihre medienwirksame Androhung im Wortlaut: "I’m honest, if no changes are made, I’ll burn myself in this square. My decision is decisive." Das nenne ich Terror. Oder setzt man bei einer 40 Jahre alten Popsängerin auf Narrenfreiheit? Ein Politiker würde mit solchen Äußerungen wohl nicht ernst mehr genommen werden. Genau deswegen weigere ich mich eine Politik ernst zu nehmen, die (im Rahmen der Eurovision) von Seiteneinsteigern aus der Promiwelt betrieben wird. Großmäuligkeit mit Freund-Feind-Schema und einer Totalität in den Forderungen lassen auf eine politische Laienhaftigkeit schließen. 

Politische Prinzipien verkörpert Ruslana jedenfalls nicht. Während sie in unseren Medien wie eine Heldin gefeiert wird, wird unterschlagen, wie sie sich zur gleichen Zeit in ihrem Metier als Musikerin unprofessionell, verantwortungslos und unsolidarisch verhalten hat. Während also die Ausschreitungen in Kiew Sonnabends den 30.11.2013 ihren Höhepunkt zusteuerten, wurde zur gleichen Zeit der Junior Contest in Kiew ausgestrahlt. Weil nur wenige Länder am JESC teilnahmen, gab es mehrere Pauseneinlagen, geplant war auch eine eine mit Ruslana. Sie hatte mit einer relativ großen Gruppe Teenager eine Choreographie einstudiert, sagte dann aber kurz vor dem Finale ihre Teilnahme ab. Offensichtlich war ihr ein Auftritt bei den Demos wichtiger. 

Abgesehen davon, dass so eine kurzfristige Absage den Veranstaltern gegenüber nicht gerade nett ist, kann man sich vorstellen, wie groß die Enttäuschung unter den Kindern war. Sie hatten völlig umsonst trainiert und wurden um ihren großen Auftritt gebracht. Zitat eines Beobachters: "Officially she has been frostened at Maidan, which didn't stop her from doing live interview hours before the show on Russian radio. I don't even remember any of the similar stories before when the act has been rehearsed throughout the week and does not perform on the final show." Auch das junge Publikum wurde um einen Teil der Show betrogen. Auf youtube kann man sich die Probe zu diesem Auftritt, der nie stattfand, anschauen.

Hätte Ruslana sich nicht für die Kinder 120 Minuten Zeit nehmen können? Ich muss mich zynisch fragen, wie viel mehr ihr die westlichen Militärstrategen wohl geboten haben, dass sie sich gegen ihre Profession entschied und es sogar darauf anlegte, die Kinderverantstaltung zu sprengen!? Unverständlich ist mir auch das Schweigen der EBU, die sich für die internationalen Übertragungen verantwortlich zeichnet, und die sonst bei Regelbrüchen jeder Art rügt oder gar mit drakonischen Strafen droht. 

Die gute Nachricht zum Schluss: Die Show gelang auch ohne Ruslana. Zu den verbliebenen Pauseneinlagen gehörten natürlich die der letzten Siegerinnen aus dem JESC 2012, Anastasiya Petryk, und dem ESC 2013, Emmelie de Forest aus Dänemark. Mein persönliches Highlight war die märchenhafte Disneydarbietung des Songs „Gravity“ der diesjährigen urkrainischen ESC-Teilnehmerin Zlata Ognevich (3. Platz). 



Gewonnen hat den Wettbewerb eine kleine Sängerin aus Malta, Gaia Cauchi, mit dem Lied "The Start". Für die Malteser eine historische Sensation, denn beim Erwachsenencontest haben sie noch nie gewonnen. Eine Auflistung aller Teilnehmer, Lieder und Resultate des JESC 2013 findet man auf Wikipedia. 

Nach diesem gelungenen JESC 2013 aus Kiew ging ein Foto um die Welt, in der der jüngste Teilnehmer Rustam Karimov aus Aserbaidschan bei der Aftershow-Party euphorisch mit seiner Konkurrentin aus Armenien (Tänzerin der armenischen Band) tanzt. Die Kinder und die ukrainischen Veranstalter haben jedenfalls Sinn und Zweck der Veranstaltung nicht aus den Augen verloren. 






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Sonntag, 1. Dezember 2013

Musik und Politik: Wie der Eurovision Song Contest 2012 in Baku die Welt veränderte

Ich übertreibe? Ok, auf jeden Fall war es ein Festival, dass meine Wahrnehmung der Welt veränderte. Ich muss mir nur den Opening Act des Finales anschauen, und schon kommen mir vor Rührung die Tränen: Ich war dabei! 


Die nagelneue Chrystal Hall entpuppte sich auf einer Halbinsel als eine wehrhafte Wasserburg umringt von Kriegsmarine. Nachmittags sah ich Militärkonvois Richtung Chrystal Hall fahren, in denen Soldaten hockten in schicken schwarzen Anzügen. Für uns war die Halle nur mit personenbezogenen Tikets, durch ein Nadelöhr, einem 20-Minuten-Marsch und nach 5 Sicherheitskontrollen zu erreichen. Während des Finales war die Stimmung in der Halle unterkühlt. Im Gegensatz zu den Semis blieben Sitzreihen leer. Ich hatte den Eindruck, dass 40% des Publikums Sicherheitskräfte, 20% ins Konzept eingeweihte Schüler und Studenten waren, der Rest war das ESC-Publikum. 

Vor kurzem sind die Terroristen, die vor und während des ESC in Aserbaidschan Terrorakte ausüben wollten, zu langen Haftstrafen verurteilt worden. Ich war also dabei, als außerhalb der Halle terroristische Angriffe abgewehrt wurden. Bei den Festnahmen war ich natürlich nicht dabei, das muss ich einfach glauben. Da aber die Aserbaidschaner die Namen der Terroristen sowie die beschlagnahmten Waffen und Gegenstände mehrere Male in ihren Medien genannt haben, wirkt dies glaubwürdig. 

Die deutsche Presse ist Welten davon entfernt uns zu erklären, wie diese Terroristen und ihre Waffen einzuordnen sind. Genauso wenig haben sie den Anstand, den Aserbaidschanern Dank auszusprechen, dass sie dem Publikum das Leben gerettet haben. In unveränderter Wortwahl schreibt JEDE Zeitung die Pressemeldung von AFP einfach nur ab, in der am Schluss pflichtgetreu die diskreditierenden Phrasen hinzugefügt werden. Und dann soll der in die Irre geführte Leser zwei völlig verschiedene Meldungen von a) Lebensretter und b) böses Land selber in einen Zusammenhang bringen? Ok, das habe ich gemacht. 

Schon in Vorbereitung auf Baku habe ich diverse Medien und Parteien darum gebeten, dafür zu sorgen, dass die Hasskampagne eingestellt wird. Schließlich war es unverantwortlich, mutwillig die Lage in Baku zu destabilisieren und uns Fans ins offene Messer rennen zu lassen. Sogar ein Boykott, der uns von der Anreise abgehalten hätte, wäre mir logischer erschienen. Ich erspare es mir zu beschreiben, was ich dabei erlebte und empfehle stattdessen die Lektüre „Die Stunde der Dilettanten“ von Thomas Rietzschel. Was Rietzschel beschreibt wurde mir 2012 in abgeänderter Form auch durch russische, aserbaidschanische und iranische Einschätzungen auf deren Info-Portalen bestätigt: Dass wir mit Dilettanten in Medien und Politik und ihren wertlosen Scheinerfolgen auf die falsche Fährte geführt werden und uns damit moralisch und intellektuell selber ruinieren. 

Ich bin nach Baku gefahren weil ich bemerkte, dass diesen angegriffenen Ländern mittlerweile mehr zuzutrauen bzw. mehr zu vertrauen ist als uns.  

Als beim Finale die Aserbaidschanerin Sabina Babayeva und der Mugham-Sänger Alim Qasimov
das Lied anstimmten „When The Music Dies“, wurde mir cold cold cold...


Ich musste daran denken, wie in Deutschland aus dem Musikwettbewerb ein Länderwettstreit gemacht worden war und dass wir Fans seit 2008 systematisch über Medien und organisierten Fanclubs mit Kriegsideologie 365 Tage im Jahr indoktriniert, ja, fertig gemacht werden. Die Eurovisionsgruppen mit ihrer wachsenden Nähe zu Politik, Kirche, halbseidenen Promis und diversen Interessengruppen kann man mittlerweile mit verdeckt arbeitenden NGO's in Osteuropa und im Nahen Osten vergleichen. 

Sentimental musste ich an das Nachbarland Iran denken, wo die Musik nach der Machtergreifung Khomeinis 1979 gestorben ist. Ich dachte mir, die Iraner müssen doch mitbekommen, wie ihr Nachbarland sich mit einem ungeheurlichen Aufwand in einen künstlichen Ausnahmezustand versetzt und mit einem ausgerechnet europäischen Popmusikspektakel seinen selbstverwalteten Reichtum präsentiert. Auch die gescheiterten Versuche des Westens, das Land anzugreifen, dürften ihnen nicht entgangen sein. Und siehe da: Die jüngsten Nachrichten – von Aserbaidschan bis Iran – sehen nach Veränderung aus. 

Es ist nicht anzunehmen, dass die Terroristen in Aserbaidschan als Einzeltäter mit individueller Motivation einzuordnen sind. Sie folgen einem Auftrag. Genauso ist nicht davon auszugehen, dass Promis wie Thomas Schreiber vom NDR, Stefan Niggemeier (Blogger) oder Anke Engelke... oder Politiker aus der 2. Reihe wie Markus Löning (FDP) und Nicolaus Meyer-Landrut (FDP) eigenmächtig ihren Kompetenzbereich überschreiten, Europa auf Kriegsideologie einschwören und vor der Weltöffentlichkeit andere Länder angreifen. Auch sie werden ihre Auftraggeber haben. Bleibt zu hoffen, dass es nicht die gleichen sind wie die der Terroristen. 


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