Sonntag, 15. Juli 2012

Die Niederländer entlarven ein weiteres ESC-Märchen

Nachdem vor kurzem durch die Niederländer Infos über kleine technische Sabotage-Akte beim Eurovision Song Contest an die Öffentlichkeit drangen, entlarven sie mit einer neuen Schlagzeile ein weiteres ESC-Märchen: 

Jahrelang wird dem Publikum erzählt, dass bekannte Stars zu feige seien, um sich dem internationalen Wettbewerb zu stellen. Deshalb müsse man auf Castingstars zurückgreifen oder sich mit minder erfolgreichen Sängern begnügen. Dass das so nicht ganz stimmt, hat jetzt ein Vorfall in den Niederlanden bewiesen. Kein geringerer als John de Mol hat sich auch für 2013 bereit erklärt, den niederländischen ESC-Beitrag zu produzieren, diesmal mit einer genauen Vorstellung von Erfolg. Seine Entscheidung fiel auf diese Musikerin: 



ANOUK! Es stellte sich sogar heraus, dass Anouk schon für den 2012 einen „Killer-Song“ parat gehabt hätte. Einziges Hindernis ist seitdem die verantwortliche TV-Anstalt TROS, die auf eine Vorentscheidungsshow besteht. Die TROS will also eine Strategie, mit der sie nachweislich seit … Jahren erfolglos Geld aus dem Fenster wirft – und weist somit de Mol und Anouk zurück. Diese wollen keine Vorentscheidung- oder Castingshow, sondern verweisen auf die 17-jährige internationale Karriere Anouks, die den Rahmen nationaler Vorentscheidungen und Castingshows sprengen würde und völlig andere Marketingstrategien erfordere. 

Geef ons een act die toon kan houden
Es sind schon vereinzelt große Stars beim ESC aufgetreten, z. B. Patricia Kaas, Andrew Lloyd Webber oder Engelbert, aber erst nach Einladung und zu Bedingungen ihrer jeweiligen TV-Stationen, weswegen sie dann auch scheiterten. Die Bedingungen der Rundfunkanstalten scheinen einen Erfolg oder gar Sieg nicht vorzusehen, denn dann müssten die Rundfunkanstalt nämlich den nächsten Contest austragen. Feige und faul sind also nicht die Stars, sondern die unmusikalischen Krämerseelen in den Rundfunkanstalten.

Wenn diese sich überhaupt mal zum Gewinnen bereit erklären, dann ist in der Tat das Brimborium um die Abgreifer aus Rundfunkanstalt, Musikindustrie, Wirtschaft, Politik und Presse wichtiger als der Act, der nach seinem Wahnsinnserfolg möglichst schnell wieder eingestampft werden muss, um Platz zu schaffen für die nächste Runde. 

Das Neuartige und Sensationelle ist diesmal, dass Anouk und de Mol die Rundfunkanstalt umgehen und Anouk ihre musikalische Selbstbestimmung in der Presse öffentlich einfordert: "Ik doe graag mee aan het songfestival, maar ik ga niet meedoen aan een soort talentenjacht of voorrondes. Niet om arrogant te doen, maar ik vind dat ik na zeventien jaar wel genoeg bewezen heb wat betreft mijn kwaliteiten als zangeres en songwriter.“ 

Sensationell finde ich allerdings auch, dass ausgerechnet John de Mol, nachdem er uns so manche abgründige TV-Show mit Publikumsbeteiligung wie z. B. „Big Brother“ oder „Voice of“ erfolgreich verkauft hat, deren Sinn und Zweck jetzt selber untergräbt. Und das deutsche Vorentscheidungskonzept von 2011 mit beispielsweise 45 mal Anouk – Anouk im roten Kleid, Anouk im grünen Höschen, Anouk mit Zöpfchen, Anouk sitzend, Anouk mit Hüftschwung, Anouk rückwärts, vorwärts, seitwärts – scheint bislang für beide Streitparteien keine Option. 

Ergebnis: Die TROS bleibt trotzig und de Mol und Anouk haben kein Interesse mehr an einer ESC-Teilnahme. Schade, denn Anouk hätte den Eurovision Song Contest mal auf eine andere Ebene gehoben.

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Freitag, 13. Juli 2012

Loreen beim Slavyansky Bazaar in Weissrussland

Und schon wieder muss ihr Name für Menschenrechtsschlagzeilen herhalten. Wird Loreen zur europäischen Lady-Gaga-Menschenrechtspropagandamaschine? 

Bereits vor ihrem ESC-Sieg bahnte sich diese Karriere an. Am 23.05.2012 berichtete ein aserbaidschanisches Newsportal, dass der schwedische Botschafter in Baku eintraf, um Loreen zu bitten, von ihrem Siegerpodest vor der Weltöffentlichkeit ein negatives Statement zu Gastgeber Aserbaidschan abzugeben, was sie verweigerte. „The ambassador asked Loreen to sound the political statements and make calls concerning Azerbaijan during her performance at Eurovision stage, but the singer turned down the suggestion saying that Eurovision is a cultural event and didn’t want to be a tool in the political processes.“

Stattdessen lichtete man sie mit der sog. Opposition ab und versah diese Fotos mit Schlagzeilen, die zumindest eine Zustimmung Loreens mit der Opposition unterstellte. 

Wieder zurück in Schweden wurde noch mal umschmeichelt und gepusht, indem Loreen solche Götter wie ABBA symbolisch vom Thron stoßen durfte. Ihr Porträt wird statt Abbas fortan im Arlanda's "Hall of Fame" zu sehen sein: „Loreen, the winner of the 2012 Song Contest, will soon have her portrait hung in Stockholm's airport to fill a gap left when a picture of Abba was taken down after Benny Andersson demanded it be removed.“ Benny war zuvor wegen seines Widerstandes(!) gegen bestimmte Sanierungsarbeiten in Ungnade gefallen. 

Momentan ist Loreen Gast in Belarus beim Festival „Slavyansky Bazaar“. 


Warum Loreen ausgerechnet in Weissrussland...? Dieser Auftritt wurde im Vorfeld schon mit einer skurilen Schlagzeile ins Gespräch gebracht, nach der sie angeblich von Verwandten weissrussischer Inhaftierter einen lieben Brief bekam, in welchem Weissrussland als böses Land ausgemacht wird. „But we hope you will remember that this festival has always used by the government as a powerful opportunity for demonstration international support for the regime.“ 

Heute hat Amnesty laut der norwegischen Internetseite VG noch mal nachgelegt und setzt Loreen wie auch Alexander Rybak, beides Gäste beim Slavyansky Bazar, mit Warnungen nachhaltig unter Druck. Diese Einschüchterungsversuche der Menschenrechtler werden – genau wie bei Aserbaidschan – auch von sonderbaren Angriffen im Hinterland begleitet, diesmal aber nicht durch die Taliban, sondern mit – Achtung - einer Teddybären-Aktion. Was haben die Schweden eigentlich mit den Weissrussen zu tun? Das liest sich dermaßen durchgeknallt und niederträchtig, dass ich es kaum noch nachvollziehen kann. 

Schade. Ich mag Loreen. Aber dieses ständige Biedermeier-Brandstifter-Gehabe jubelt den ESC-SiegerInnen eine äußerst fragwürdige Fangemeinde unter, von der ich mich distanziere.


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Sonntag, 1. Juli 2012

Fernreisen mit youtube - Vom afghanischen Traum zum amerikanischen Alptraum

Mozhdah Jamalzadah
N o r m a l.  Ein Adjektiv, dass in unserer Popkultur gleichbedeutend ist mit "unterdurchschnittlich", dürfte in anderen Ländern einen unschätzbaren Wert zum Ausdruck bringen. Z. B. in Ländern wie Afghanistan, das sich seit fast 35 Jahren im Kriegszustand befindet. Die Afghanen von ihrem unnormal tristen Alltag wegzuführen, ihnen Trost zu spenden und Mut zuzusprechen, hat sich die Sängerin Mozhdah Jamalzadah zur Aufgabe gemacht. Und dies u. a. mit dem Mittel der eingängigen (zweisprachigen) Unterhaltung, also schlicht, aber dennoch ergreifend:



Wer ist Mozhdah Jamalzadah?
 Es ist schwierig, Genaueres zu erfahren, da die Angaben biografischer Daten nicht eindeutig sind. Was sich im Internet in Erfahrung bringen lässt, skizziere ich kurz: Mozhdah wurde 1985 in Kabul als Tochter eines Universitätsprofessors geboren. Als sie 5 Jahre alt war, mussten ihre Eltern Kabul verlassen, sie flohen über Pakistan nach Kanada, wo Mozhdah aufwuchs. Sie studierte kurze Zeit Philosphie und Politik, startete eine Ausbildung zur Journalistin und verdiente ihr Geld als Model, Gerüchten zufolge auch als Stripperin. Mit dem verdienten Geld finanzierte sie sich Gesangsunterricht und probierte ihr Glück bei "Canadian Idol", aber vergeblich. Als 2008 vier kleine afghanische Mädchen auf dem Weg zur Schule fast mit dem Leben bezahlen mussten, widmete Mozhdah ihnen den Song "Dukhtar-E-Afghan", und wurde damit auf youtube über Nacht berühmt. So berühmt, dass Barack Obama sie ins Weiße Haus einlud.

2009 bekam Mozhdah von Fahim Hashimy, Millionär und Begründer des afghanischen Privatsenders 1TV, das Angebot, eine eigene Show zu moderieren. Sie folgte dem Ruf in ihre Heimat, und rief dort die "Mozhdah Show" ins Leben, in der USA galt sie fortan an als die afghanische Oprah Winfrey. Ihr Ziel war, mit Hilfe einer Talkshow die Meinungsfreiheit und die Emanzipation der Frau durchzusetzen; in den Pausen präsentierte sie Pop- und Folkmusik in afghanischer und englischer Sprache.

In dieser Talk-Show traten jedoch keine "Betroffenen" auf, sondern es wurden Sketche aus dem alltäglichen Leben vorgeführt. Von Kinderarbeit und Kindesmissbrauch oder Gewalt gegen Frauen (alles in Afghanistan geduldet) gab es kaum ein Tabuthema, welches Mozhdah in ihrer Show nicht aufgriff. Gewarnt wurde sie aber erst, als sie das Thema Scheidung ankündigte. Ihre liberalen Ansichten und ihre un-islamische Kleidung riefen nicht nur den Zorn der Kleriker hervor, sondern auch die Sorge der Fans. Schließlich wurde eine Sendung ohne Schleier sogar vom Intendanten kurzfristig abgebrochen. Alle erinnerten sich an die Morde an die Moderatorin Shaima Rezayee und die Journalistin Zakia Zaki, und so machte Mozhdah Kompromisse. Im Spannungsfeld zwischen Popkultur und Taliban bewaffnete sie sich und verließ ohne Bodyguard nicht mehr das Haus - weder in Afghanistan noch in Kanada.


"David gegen Goliath"
Mir sind diese Kämpfe "David gegen Goliath" sympathisch, und Mozhdahs naive Kampflust fand ich als ferne Beobachterin natürlich unterhaltsam. Obwohl ich kein Wort verstand, habe ich ihre Auftritte - auch Mozhdah als Mitwirkende in der Sendung Afghan Star, über die schon 2009 das ZDF begeistert berichtete - ab und zu mit Interesse und Freude auf youtube verfolgt: Mozhdah in hautenger Kleidung und Highheels, und mit einem Haarreif (s. Video), der ihr die Burka ersetzen sollte. Mindestens so interessant wie Show und Gäste war das fantastische Publikum, vor allem die Männer. Während die einen vor Begeisterung tobten (laut hören und sich mitreißen lassen!) wirken andere Mienen eher fassungslos (siehe ab 02:35).

Im April 2011 dann die Meldung, dass Mozhdah Jamalzadah erschossen worden sei, was sich zum Glück als eine Falschmeldung herausstellte. Die Morddrohungen wurden allerdings so drastisch und offiziell, dass die kanadische Regierung ihr die Reisen nach Afghanistan verbieten musste. Kurze Zeit später scheint sich auch Karzai wieder der Taliban zu nähern, was für Mozhdahs Talkshow das Aus bedeutet:



Mozhdah: "I feel so alone in this."
Sind Menschenrechte in Afghanistan kein Thema? Dann bekommt Mozhdahs ehrenwerter Einzelkampf, ihr Engagement und ihre Courage auch was Törichtes. Glaubte sie ernsthaft, dass sich strenggläubige Islamisten mit amerikanischer TV-Bespaßung von einer blondierten Hostess überrumpeln kassen? 

Wenn ich mir zudem in Erinnerung rufe, dass ihr Weg nach Afghanistan durch das Weiße Haus ging, und sie von dort wohl nicht nur mental unterstützt wurde, vertauschen sich die Rollen von David und Goliath. Aus dieser Perspektive wirkt Mozhdah wie ein auf meine westlichen Bedürfnisse zugeschnittener Popstar, wie die afghanische Version einer Lady-Gaga-Regierungspropaganda. Einfach unnormal. Würde mich nicht mal wundern, wenn sie von so manchem Afghanen sogar als eine Art psychologische Kriegsführung wahrgenommen wurde. 


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